China feiert 70 Jahre Volksrepublik
China Update 14/2019
Thema der Woche
Die Kommunistische Partei Chinas versucht, die Kontrolle über das Narrativ zu behalten
Es sind die bekannten Zutaten für einen runden Geburtstag in der Volksrepublik: Militärparade, staatlich verordneter blauer Himmel, eine Propagandaschlacht, strikte Zensur und geladene Gäste aus dem Ausland. Und doch soll alles noch größer und imposanter werden als beim 50. oder 60. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik. Die chinesische Führung feiert eigenen Angaben zufolge mit „Zuversicht, Freude und Rationalität“, wie die englischsprachige Global Times kürzlich schrieb.
Höhepunkt der diesjährigen Feierlichkeiten werden die Militärparade und die Rede von Partei- und Staatschef Xi Jinping am 1. Oktober sein. Schon vor Monaten fanden die ersten Übungen statt. Immer wieder wurden probeweise Straßen gesperrt, Panzer rollten durch Beijing, tagsüber übten Kampfjets über der Innenstadt ihre Formationen, wo sonst absolutes Flugverbot gilt. Auch für die Zeremonie gab es verschiedene Generalproben, an denen rund 300.000 Menschen beteiligt gewesen sein sollen. Chinas Führung will am Jahrestag militärische Stärke und zugleich ihren absoluten Machtanspruch demonstrieren. Welche Einheiten des Militärs mit welchen Waffensystemen zu sehen sein werden, darüber herrscht bislang absolutes Stillschweigen.
Damit am 1. Oktober der Himmel blau und nicht etwa smogverhangen ist, ließ die Beijinger Stadtregierung die Arbeiten auf Baustellen stoppen, den Verkauf von Benzin einschränken und das Abbrennen von Feuerwerk verbieten. In der Nachbarprovinz Hebei wurde zudem die Stahlproduktion gedrosselt.
China hat dieses Mal keine Staats- und Regierungschefs aus dem Ausland eingeladen. Aber ausländische Botschafter und Militärattachés, die in Beijing auf Posten sind, werden teilnehmen. Die Bundesrepublik lässt sich durch ihren Botschafter vertreten. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird China „entsprechend der diplomatischen Praxis“ ein Glückwunsch-Telegramm schicken, so das Bundespräsidialamt. Zusammen mit Xi Jinping werden ehemalige chinesische Staats- und Parteichefs sitzen, darunter der 93jährige Jiang Zemin, der hinter den Kulissen immer noch aktiv ist.
In Hongkong wurde übrigens angesichts der andauernden Proteste das Feuerwerk abgesagt. Es soll vermutlich kein Anlass für weitere Unmutsbekundungen gegenüber Beijing geschaffen werden.
Der chinesische Propagandaapparat läuft derweil auf Hochtouren. Die parteistaatlichen Medien sind prall gefüllt mit Beiträgen über die Erfolge der Kommunistischen Partei beim Aufbau des Landes, bei der Entwicklung neuer Waffensysteme oder der Raumfahrt. Die wichtigste Botschaft lautet – in Anlehnung an Mao Zedong - „ohne die Kommunistische Partei gibt es kein neues China“ – und ohne die neue Ära Xi Jinping wird es keine glorreiche Zukunft geben, so etwa die freie Übersetzung. „Glorreiche 70 Jahre, Kampf der neuen Ära“ lautet das offizielle Motto der Volkszeitung. China will das Narrativ bestimmen – zum Beispiel beim Thema Menschenrechte. Am Sonntag hatte der Staatsrat ein Weißbuch unter dem Titel „Auf der Suche nach dem Glück des Volkes: 70 Jahre Fortschritte bei den Menschrechten in China“ veröffentlicht. Darin fällt auf, dass China Menschenrechte in erster Linie ökonomisch und nicht als politische Freiheiten definiert.
Zitat von Kristin Shi-Kupfer, Leiterin des Forschungsbereichs Politik und Gesellschaft am MERICS:
„‘Glorreiche 70 Jahre, Kampf der neuen Ära‘ lautet das offizielle Motto der parteistaatlichen Volkszeitung für die Feierlichkeiten. Gestärkt durch die alten Errungenschaften will Xi Jinping sich an der Spitze der KPC als fähiger und entschlossener Kämpfer präsentieren - gegenüber inneren Herausforderungen und äußeren Bedrohungen."
China und die Welt
„Kerninteressen“ der KPC passen nicht zu einer liberalen internationalen Ordnung
Als China in den 1970er Jahren Mitglied der Vereinten Nationen wurde, sich den USA annäherte und wirtschaftliche Reformen einleitete, hofften viele in der internationalen Gemeinschaft, das Land werde sich auch in die liberale internationale Ordnung integrieren. Zum 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik sind Zweifel an dieser These mehr als berechtigt.
Reformarchitekt Deng Xiaoping verfolgte seinerzeit unter der Maxime „Verstecke Deine Stärken und warte, bis die Zeit gekommen ist“ eine zurückhaltende Außenpolitik. Er wollte vermeiden, dass außenpolitische Spannungen das wirtschaftliche Wachstum Chinas hemmten. Beijing stellte auch die Unterstützung für bewaffnete Revolutionsbewegungen und seine aus der Mao-Ära stammende, aggressive Rhetorik gegenüber dem Westen ein.
Dengs Plan ging auf, wie unter anderem Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) im Jahr 2001 und die Ausrichtung der Olympischen Spiele 2008 in Beijing vor Augen führten. Doch die Zusicherungen, Chinas Aufstieg werde friedlich sein und das Land wolle sich zu einem verantwortungsvollen Mitglied der internationalen Gemeinschaft entwickeln, erscheinen heute in einem anderen Licht: Im vergangenen Jahrzehnt ist China immer selbstbewusster auf der internationalen Bühne aufgetreten. Es erhebt den Anspruch, die internationale Ordnung mitzugestalten. China baut Militärbasen im Ausland und distanzierte sich auf dem 19. Parteitag 2017 auch ganz offiziell von Dengs Maxime der außenpolitischen Zurückhaltung.
Das offensiv-selbstbewusste Auftreten der KPC liegt auch in ihrer Furcht begründet, dass jegliche demokratische oder weitergehende strukturelle wirtschaftliche Reformen ihre Herrschaft untergraben. Die Partei will auf diese Weise ihre Kerninteressen in der Außenpolitik verteidigen: die Wiedervereinigung mit Taiwan und die Verteidigung der territorialen Souveränität Chinas.
In diesem Jahr hat sich Beijings offensiver Ansatz besonders in der Ermutigung eines gewaltsamen Vorgehens gegen die anhaltenden Proteste in Hongkong und offenen Drohungen gegen die demokratisch gewählte Regierung Taiwans manifestiert. Im Juli veröffentlichte China erstmals seit vier Jahren ein Weißbuch zur Verteidigungspolitik. In dem Dokument kündigt Beijing an, die für 2049 angepeilte Wiedervereinigung mit der Inselrepublik notfalls mit Gewalt durchzusetzen. Vermutlich hat die chinesische Regierung erkannt, dass ihr Prinzip des „Ein Land, zwei Systeme“ angesichts der Ereignisse in Hongkong auch in Taiwan an Glaubwürdigkeit eingebüßt hat.
Pünktlich zum 70. Jahrestag kann die Volksrepublik erst einmal zwei kleine Siege für sich verbuchen: Die Salomonen und Kiribati, zwei ehemalige Verbündete Taiwans, haben die Seiten gewechselt und diplomatische Beziehungen zu China aufgenommen. Die parteistaatliche Volkszeitung hat schon damit gedroht, dass Taiwans wenige verbleibende Verbündete bald folgen werden, sollte die wenig China-freundliche Präsidentin Tsai Ing-Wen wiedergewählt werden.
Kurz gemeldet
- UN-Sicherheitsrat: China droht mit Veto bei Afghanistan-Resolution wegen fehlenden Bezugs zu BRI
- Verteidigung: Die Militärparade zum 1. Oktober spiegelt Chinas militärische Fortschritte wider
- Cyberspionage: Australien beschuldigt China des Hackerangriffs auf Parlament im Mai
- Verfahrene Situation zwischen Vietnam und China: Beijing setzt Exxon unter Druck, Ölförderungsprojekt aufzugeben
Innenpolitik, Gesellschaft und Medien
Der Kampf um die Rolle und Bedeutung der Kommunistischen Partei Chinas geht weiter
Wenn die Volksrepublik China ihren 70. Jahrestag feiert, dann ist alles auf die KPC als wichtigsten Vertreter des chinesischen Volkes ausgerichtet – in Anlehnung an die seit langem geltende Devise „Ohne Kommunistische Partei gibt es kein neues China“. Partei- und Staatschef Xi Jinping will den Anlass nutzen, um den allumfassenden Führungsanspruch der KPC zu untermauern – ganz im Sinne der Devise aus Maos Zeiten: „Ob im Osten, Süden, Westen, Norden oder im Zentrum – die Partei führt alles.“
Anders als Mao Zedong, der den Fokus sehr eng auf die Partei richtete, will Xi die Führung durch Recht und die parteistaatlichen Institutionen stärken. Gleichzeitig aber nutzt Xi gern maoistische Konzepte wie “die dialektisch-materialistische Weltsicht“ oder Techniken wie die Selbstkritik von offiziellen Vertretern, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen - ebenso wie Elemente „westlicher Modelle“ zu verbannen, die China in den vergangenen 30 Jahren beeinflusst haben.
1979 hatte die KPC der Ideologie weniger Raum gewährt als zuvor und den Weg freigemacht für eine schrittweise ökonomische Liberalisierung, ohne dabei ihren Anspruch auf alleinige politische Führung aufzugeben. Immer dann, wenn Gruppen für eine politische Liberalisierung eintraten – sei es die „Mauer der Demokratie“-Bewegung 1979, die von Studenten getragene Protestbewegung im Frühjahr 1989 oder die von Intellektuellen, Arbeitern und Unternehmern unterzeichnete Veröffentlichung der „Charta 08“ im Jahr 2008 – sie alle wurden von der KPC unterdrückt.
Doch je mehr sich das Internet entwickelte, umso stärker wurden auch investigativer Journalismus, Wohltätigkeitsveranstaltungen, lebendige politische Salons sowie eine pluralistische Lehre und Forschung in den 1990er Jahren und danach Teil der Volksrepublik China. Aus Sicht Xis und seiner Unterstützer aber war es genau diese pragmatische, Laissez-faire-Atmosphäre, die es ermöglichte, dass die Nation „infiltriert wurde von westlichen Ideen und Kräften“. Sie befürchteten das Entstehen einer „Farbenrevolution“ osteuropäischen Stils, die sich für einen gewaltfreien Regimewechsel einsetzen und zum Sturz der KPC beitragen könnte.
Xi vertrat die Ansicht, dass die politischen Spitzenbeamten zu egoistisch geworden seien und nur noch ihren eigenen (finanziellen) Interessen folgten. Er fürchtete, dass sie nicht länger der Sache – dem „Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten“ - treu wären und nicht aus ideologischen Motiven in die Politik gegangen seien oder weil sie an den Machtanspruch der KPC glaubten. Und vielleicht hat er damit sogar Recht. Es ist kaum vorstellbar, dass alle Teile der Gesellschaft auch künftig noch der Vorstellung folgen werden, wonach sich alles um den einen „Führer im Zentrum“ dreht, und diese Idee von der Regierung vorgegeben wird. Genauso wenig ist es vorstellbar, dass diese Konstruktion dem unaufhaltsamen Druck der Globalisierung, des gesellschaftlichen Wandels und der ökonomischen Modernisierung standhalten kann.
Unter Xi führt die Partei alles
S
Seitdem Xi Jinping vor knapp sieben Jahren Generalsekretär der KPC und wenige Monate später chinesischer Staatspräsident wurde, hat er umfangreiche Reformen angestoßen. Sein Ziel ist es, den Machtanspruch der Partei zu festigen. Xi ließ nicht nur die Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten abschaffen und die Top-Down-Entscheidungsfindung zum zentralen Element des neuen Regierungsmodells erklären. Er beendete auch die institutionelle Trennung von Partei und Staat, die jahrzehntelang das Politische System der Volksrepublik geprägt hatte.
Im neuen MERICS China Monitor “The Party leads on everything - China’s changing governance in Xi Jinping’s new era” analysieren Nis Grünberg und Katja Drinhausen, wie unter Xi Chinas Chinas Regierungsmodell umstrukturiert, Entscheidungsprozesse neu gestaltet und Regeln sowie Ideologie der KPC im Rechtssystem verankert werden. Chinas kommunistische Führung greift durch diese Umgestaltungen immer tiefer in Chinas gesellschaftliche Prozesse ein. „Xis Regierung sorgt dafür, dass das Rechtssystem und politisch-juristische Organe die Machtansprüche der KPC stützen“, schreiben die Autoren.
Die Zentralisierung der Macht birgt auch Gefahren, denn es entsteht eine übergroße Abhängigkeit von wenigen mächtigen Akteuren auf der oberen Ebene der politischen Hierarchie Chinas. Offen ist auch, ob Xis Integration von Staat und Partei effektiver ist, denn es ist zeitaufwendig, alle Amtsträger auf Parteilinie zu bringen und dafür zu sorgen, dass diese auch eingehalten wird. Auch das Risiko einer politischen Fehlsteuerung und gesellschaftlichen Gegenreaktion steigt, wenn Beamte eine von oben verordnete Politik nur umsetzen, ohne deren Sinnhaftigkeit zu hinterfragen.
Kurz gemeldet
Wirtschaft, Finanzen und Technologie
Chinas Weg zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt war gespickt von Katastrophen und Erfolg
70 Jahre nach ihrer Gründung hat sich die Volksrepublik China zu einer der größten und wichtigsten Volkswirtschaften der Welt entwickelt. Das vorwiegend bäuerlich geprägte Land erfand sich neu und wurde zu einem städtischen Industriestaat. 1960 betrug Chinas BIP noch 4,4 Prozent des weltweiten BIP. 2018 lag es bereits bei 16 Prozent und damit auf Platz 2 weltweit.
Der Lebensstandard der meisten Chinesen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stetig verbessert. Die Weltbank schätzt, dass allein seit 2015 rund 850 Millionen Chinesen aus der Armut befreit wurden. Dennoch ist Armut noch immer vorhanden, und die Produktion pro Kopf liegt deutlich unter dem internationalen Durchschnitt (vgl. Grafik). Ende 2018 betrug das BIP pro Kopf nur 86 Prozent des weltweiten Durchschnitts – auch wenn es höher ausfiel als die noch 1960 gemessenen 20 Prozent.
Dieses ambivalente Bild ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die vergangenen 70 Jahre Wirtschaftsentwicklung eine Mischung aus Erfolgen und Katastrophen waren. In den frühen Jahren der Volksrepublik – insbesondere im Zuge der Misswirtschaft während des Großen Sprungs nach vorne in den 1950er und frühen 1960er Jahren – als die Industrialisierung um jeden Preis zu unrealistischen, überehrgeizigen Zielvorgaben führte und eine große Hungersnot verursachte. In dieser Zeit schrumpfte das BIP, die Stahlproduktion fiel und Millionen Menschen verhungerten, weil einheimische Lebensmittelreserven im Ausland verkauften wurden. Damit versuchte die Regierung damals, Auslandsdevisen zu erwirtschaften, um Maschinen zu kaufen und die heimische Industrie voranzubringen.
In den späten 1970er Jahren änderten sich dann Chinas Wirtschaftsgeschicke. Deng Xiaoping kam an die Macht und schlug einen ganz anderen Wirtschaftskurs ein. Der Fokus lag fortan auf den Unternehmen und ihren Bedürfnissen. Marktmechanismen entschieden darüber, was produziert wurde. Freie Unternehmen und ausländische Direktinvestitionen mobilisierten Chinas enormes Angebot an billigen Arbeitskräften.
Das Ergebnis war ein bis dahin ungeahnter wirtschaftlicher Boom, der drei Jahrzehnte andauerte. Chinas Beitritt zur WTO 2001 verstärkte das Wirtschaftswachstum weiter. Nun aber befindet sich China in einer Phase niedrigeren Wachstums. Dies ist die natürliche Folge der anhaltenden Entwicklung. 2018 wuchs die Wirtschaft um 6,6 Prozent, den niedrigsten Wert seit den 1990er Jahren. Und alle Signale deuten auf eine kontinuierliche Verlangsamung. Chinesische Arbeitskräfte sind nicht mehr so billig, wie sie mal waren. Und der Rest der Welt ist zunehmend verärgert über Chinas Merkantilismus. Zudem ist das chinesische Finanzsystem extrem kreditgestützt. China braucht dringend mehr wirtschaftliche Reformen, denn die chinesische Wirtschaft wuchs immer am schnellsten während der Öffnungsphasen.
Die Zukunft ist deshalb sehr unsicher. Unter der Führung von Xi Jinping wurde zwar viel über eine Öffnung der chinesischen Wirtschaft und weiterer Marktreformen gesprochen. Doch die Hoffnungen im Ausland wurden durch Xis Ideologisierungskurs und seinen Fokus auf Industriepolitik gedämpft.
Kurz gemeldet
- Zinssenkung: China senkt Wechselkursstandard
- Konsumentenkredite: Wachstum in erster Jahreshälfte abgestürzt
- Verkehr: China will globale Wettbewerbsfähigkeit steigern
- “New Manufacturing”: Regierungsvertreter sollen in Technologieunternehmen wie Alibaba oder Geely arbeiten