China startet Medienoffensive, um eigene Sicht auf Xinjiang und Hongkong zu präsentieren
China Update 18/2019
Metrix
Vor einem Jahr wurden Michael Kovrig, ehemaliger Diplomat und Analyst der Crisis Group, sowie der Geschäftsmann und Berater Michael Spavor, in China festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, die “nationale Sicherheit” gefährdet zu haben. Die beiden kanadischen Staatsbürger werden seither an einem geheimen Ort festgehalten und haben keinen Zugang zu Anwälten. Kurz vor deren Festnahme am 10. Dezember war in Vancouver Meng Wanzhou, CFO von Huawei und Tochter des Firmengründers, festgenommen worden. Es wird deshalb vermutet, dass China die Kanadier als Druckmittel einsetzt.
Thema der Woche
China startet Medienoffensive, um eigene Sicht auf Xinjiang und Hongkong zu präsentieren
Im Vorfeld des Internationalen Tages der Menschenrechte am 10. Dezember hat China eine großangelegte Medienoffensive in den sozialen und traditionellen Medien gestartet, um Beijings eigene Menschenrechtsbilanz zu präsentieren und vermeintliche Fehlwahrnehmungen des Auslands zu „korrigieren“. Chinas Propagandakampagne verstärkte die Bemühungen des inzwischen weltweit größten diplomatischen Netzwerkes. Chinesische Diplomaten haben in letzter Zeit aktiv im Ausland die Politik der Kommunistischen Partei verteidigt und dazu gezielt soziale Medien genutzt, die in China gesperrt sind. In Reaktion auf den US-amerikanischen Uyghur Human Rights Policy Act, den das Repräsentantenhaus dieses Jahr verabschiedet hatte, sollen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang widerlegt werden.
Im Zuge von Xi Jinpings Kampagne „Chinas Geschichte richtig erzählen“ hat Außenminister Wang Yi Beamten des chinesischen Außenministeriums angewiesen, einen größeren „Kampfgeist“ zu beweisen. Das Ministerium und viele hochrangige chinesische Diplomaten haben seitdem Twitter-Accounts eröffnet. Der neue stellvertretende Generaldirektor der Informationsabteilung des Außenministeriums, Zhao Lijian, gehört zu den aktivsten Social Media-Nutzern. Er hat Berichte über Xinjiang, die in westlichen Medien erschienen sind, als „ideologisch motiviert, subjektiv, parteiisch und ohne jegliche Faktenbasis“ bezeichnet. Westliche Journalisten charakterisierte er als eine „Beleidigung für Medienkompetenz“. Sie würden sich selbst zu „politischen Schlägern gegen China degradieren.“
Die Global Times und andere parteistaatliche Medien, die Internierungslager in Xinjiang als Trainingsstätte bezeichnet hatten, in denen Angehörige von Minderheiten sich freiwillig einer De-Radikalisierung unterziehen, versuchen nun, gegen Kritik vorzugehen. Sie berichten, dass alle „Auszubildenden“ inzwischen ihr Training beendet hätten und es ihnen gut gehe. Dieser Versuch wird begleitet von einer Vielzahl von Berichten und Gastbeiträgen in englisch- und chinesischsprachigen Medien, die den Westen als „Komplizen des Terrorismus“ bezeichnen, weil er Chinas Xinjiang-Politik dämonisiere. Deng Li, der chinesische Botschafter in der Türkei beispielsweise reagierte in einem Gastbeitrag auf die Kritik eines türkischen Journalisten an der Situation in Xinjiang. Er beschuldigte den Westen, mit „unterschiedlichen Maßstäben“ auf „Terrorismusbekämpfung“ zu reagieren. Auffällig ist auch, wie gezielt unter allen Online-Berichten über Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang Videos, Tweets und Artikel veröffentlicht werden, die eine Gegenposition einnehmen.
Inzwischen hat das chinesische Außenministerium sich um eine Koordinierung all dieser Aktivitäten bemüht. So wurde ein Brief an rund 30 internationale Organisationen geschickt, in denen Beijings Sicht auf die Proteste in Hongkong vermittelt wird. Veranstaltungen wie das Global Lawyers Forum in Guangzhou diese Woche, an dem rund 800 Juristen aus 57 Ländern teilnehmen oder dem Süd-Süd-Menschenrechtsforum in Shanghai vergangene Woche werden offensichtlich mit dem Ziel organisiert, Chinas Narrativ zu Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu propagieren.
MERICS Analyse: Parteistaatliche Medien auf Facebook, Twitter & co. MERICS China Mapping von Mareike Ohlberg. (auf Englisch).
China und die Welt
China kritisiert Bezeichnung als „Sicherheitsherausforderung“ durch NATO
Auf dem NATO-Gipfel zum 70. Bestehen des Militärbündnisses in London haben führende Vertreter der NATO erstmals China als Sicherheitsherausforderung bezeichnet. In der Abschlusserklärung vom 4. Dezember, die von 29 Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde, heißt es: "Wir erkennen an, dass Chinas wachsender Einfluss und seine internationale Politik sowohl Herausforderungen als auch Chancen bedeuten, die wir als Allianz gemeinsam angehen müssen."
China reagierte umgehend und bezeichnete die Charakterisierung als unfair. Die Sprecherin des Außenministeriums Hua Chunying sagte, die größte Bedrohung für die Weltgemeinschaft gehe heute von „Unilateralismus und Schikanen“ aus, denen sogar Verbündeten der USA zum Opfer fielen. Sie argumentierte, dass einige NATO-Mitglieder sich zunächst dagegen ausgesprochen hätten, China als Gegner zu bezeichnen, dann jedoch von den USA zu dieser Position gezwungen worden seien.
Die Abschlusserklärung des NATO-Gipfels bildet den Höhepunkt eines längeren Bewertungsprozesses, in dem sich die NATO mit der wachsenden Rolle Chinas in der internationalen (Sicherheits-)Politik auseinandergesetzt hat. Obwohl Asien für gewöhnlich außerhalb des Tätigkeitsbereichs des Bündnisses liegt, ist China im Zusammenhang mit Huawei und 5G, dem chinesisch-russischen Verhältnis, Chinas rapider militärischen Modernisierung sowie Begegnungen von Volksbefreiungsarmee und NATO-Truppen im Ausland in den Fokus geraten. Auch Beijings Investitionen in europäische Infrastrukturen und im Cyberspace sowie Chinas wachsende Präsenz in Afrika und in der Antarktis zählen dazu.
NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte, Ziel sei es „nicht, einen neuen Feind zu schaffen“, sondern zu analysieren und zu verstehen und in ausgewogener Art auf die Herausforderungen zu reagieren, vor die China das Bündnis stelle. Demnach soll die Abschlusserklärung kurzfristig keinen Wendepunkt im Umgang mit China markieren. Beijing ist unterdessen bestrebt, seine Sicht der Dinge voranzutreiben, wonach die USA die destabilisierende Kraft auf der internationalen Bühne seien und dass Europa von Washington herumkommandiert werde, damit es ebenfalls eine feindliche Haltung gegenüber China einnehme. Unabhängig davon ist es wahrscheinlich, dass die NATO künftig mehr Zeit und Ressourcen für die Entwicklung einer China-Strategie aufwenden wird.
Australien ringt um Antwort auf ausländische Einflussnahme
Die australische Regierung wird eine neue Arbeitsgruppe einsetzen, die “jeden Versuch, die nationalen Interessen des Landes zu unterwandern, abschrecken oder zerschlagen” soll. An der Arbeitsgruppe, die 88 Millionen AUD (54 Millionen EUR) an Finanzierung erhalten soll, werden unterschiedlichen Behörden beteiligt sein. Die Leitung übernimmt ein Vertreter des australischen Geheimdienstes (Australian Security Intelligence Organization, kurz ASIO).
Kurz bevor die Regierung am 2. Dezember die Gründung der Taskforce ankündigte, war ein Interview mit dem mutmaßlichen chinesischen Spion Wang Liqiang erschienen, der zum australischen Geheimdienst übergelaufen sein soll. Wang gibt an, an der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder beteiligt gewesen zu sein.
Es ist bereits der zweite Fall in diesem Jahr. Ein chinesisch-australischer Geschäftsmann namens Bo Zhao hatte ASIO informiert, dass ihm mutmaßliche chinesische Agenten Geld angeboten hätten, wenn er als Parlamentsabgeordneter kandidiert. Im März wurde Bo tot in einem Motel-Zimmer aufgefunden. Der frühere ASIO-Chef Duncan Lewis sagte im November in einem Interview, dass die chinesische Regierung das politische System Australiens durch schleichende Einmischung “übernehmen” wolle.
Die australische Öffentlichkeit ist geteilter Meinung, wie das Land auf den politischen Druck Chinas reagieren solle. Zu Wort gemeldet haben sich in der Debatte auch ehemalige Premierminister. Paul Keating sagte in einem Interview Ende November, dass die “Diplomatie durch die Ängste der Geheimdienste verdrängt” werde. Tony Abbott bezeichnete ausländische Einflussnahme als “existenzielle Bedrohung” für das Land. Kevin Rudd warnte vor einer Mentalität der “gelben Gefahr” gegenüber China. In Australien leben mehr als 1,2 Millionen chinesisch-stämmige Einwohner. Dies entspricht 5,6 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Kurz gemeldet
- “Kraft Sibiriens”: Erstes Teilstück der Gaspipeline zwischen Russland und China eröffnet
- Hongkonger Bucherhändler: Schwedens ehemalige Botschafterin in China wegen nicht autorisierter Kontakte mit ausländischen Kräften angeklagt
- Gesetzesentwurf: US-Repräsentantenhaus fordert Sanktionen wegen Lagern in Xinjiang
- Menschenrechtsdialog: China sagt bilaterale Treffen mit Deutschland und der Schweiz ab
Innenpolitik, Gesellschaft und Medien
China setzt weiter auf Kohle
Der “China Renewable Energy Outlook 2019” (CREO), der heute am Rande des COP25-Treffens in Madrid vorgestellt wird, gibt Aufschluss darüber, wo China bei der Energiewende steht. Der Bericht wurde vom chinesischen Think Tank China National Renewable Energy Centre (CNREC) unter Beteiligung ausländischer Experten, u.a. von der Deutschen Energie Agentur (dena) erstellt. Die Lektüre stimmt wenig optimistisch: China bekennt sich zwar zum Zwei-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens und vertritt nach außen eine ambitionierte Klimapolitik. Studien zeigen aber, dass das Land weiter in großem Umfang auf Kohleenergie setzt. So entspricht allein die Zahl der noch geplanten Anlagen nahezu aller in den USA aktiven Kohlekraftwerke.
Dass China auch weiterhin auf Kohle als Energieträger setzt, erlaubt Rückschlüsse darauf, wie es um die Umsetzung seiner ambitionierten Klimaziele steht. Nur wenige Wissenschaftler sind der Ansicht, dass das Zwei-Grad-Ziel erreicht werden kann, was jedoch zum Verhindern einer Klimakatastrophe notwendig wäre. Ohne Chinas aktive Beteiligung ist das Erreichen der Pariser Klimaziele gänzlich unrealistisch.
Der CREO-Bericht ist die bislang detaillierteste Analyse der chinesischen Klimapolitik und enthält Szenarien, wie das Land seine Klimaziele erreichen könnte. Kurz bevor die Arbeiten am nächsten Fünfjahrplan (2021-25) in die entscheidende Phase gehen, könnte der CREO-Bericht ein wichtiges Alarmsignal an die chinesische Führung senden und als konstruktive Grundlage für Anpassungen dienen.
Chinas Spitzenplätze bei internationaler Bildungsstudie werfen Fragen auf
Chinesische Schüler belegen in der neuen PISA-Studie der OECD Spitzenplätze. Getestet werden in der jährlich erscheinenden Studie die Kompetenzen im Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften sowie die Fähigkeit, Probleme im wirklichen Leben zu lösen. 600.000 Schüler im Alter von 15 Jahren aus 79 Ländern nahmen an dem Test teil. In diesem Jahr überholten chinesische Kinder ihre Altersgenossen in Singapur, die 2018 den ersten Platz belegt hatten. Das Bildungssystem Singapurs gilt als eines der besten der Welt.
Die Ergebnisse sind bemerkenswert, denn das chinesische Bildungssystem wird häufig kritisiert, weil es sehr stark auf Prüfungen ausgerichtet ist und unabhängiges Denken und Problemlösungskompetenzen vernachlässigt. In China und im Ausland wurden gleichermaßen Zweifel an den Ergebnissen laut. Diese seien verzerrt, weil sie nur die Leistung von Kindern aus den Großstädten und wohlhabenden Regionen im Osten des Landes abbildeten.
Da das Bildungssystem eines Landes eng mit dessen Innovationsfähigkeit und Wirtschaftskraft verknüpft ist, löste der Vorsprung chinesischer Kinder bei der PISA-Studie weltweit Debatten aus. In den USA zum Beispiel zeigen sich manche Beobachter skeptisch, während andere das gute Abschneiden Chinas zum Anlass nahmen, die eigene Bildungspolitik zu hinterfragen. Chinas hohe Investitionen in Technologien im Bildungsbereich in den vergangenen Jahren scheinen nun Früchte zu tragen.
MERICS Analyse: Kreativität als Staatsdoktrin - Chinas Schulen zwischen Innovation und Konformität. MERICS China Monitor Perspectives von Didi Kirsten Tatlow.
Kurz gemeldet
- Chinesische CRISPR-Babies: Hinweise, dass He Jiankui ethische Bedenken bewusst ignorierte
- Hongkong: 800.000 Demonstranten versammeln sich sechs Monate nach Beginn der Proteste
- Schweinegrippe: Chinesische Forscher versuchen, immune Schweine zu züchten
Wirtschaft, Finanzen und Technologie
China will sich auch technologisch vom Ausland entkoppeln
Regierungsbehörden und öffentliche Institutionen in China sollen bis 2022 ausschließlich einheimische Computer und Software einsetzen. Unter Hinweis auf geheime Dokumente berichtete die Financial Times am 8. Dezember, dass die Kanzlei des Zentralkomitees der KPC bereits Anfang des Jahres angeordnet habe, dass 30 Prozent der ausländischen Hard- und Software bis 2020 durch chinesische Alternativen ersetzt werden müssen, weitere 50 Prozent bis 2021 und die verbleibenden 20 Prozent bis zum darauffolgenden Jahr. Entsprechend wurde diese Direktive die „3-5-2-Politik“ genannt. Wie das Handelsblatt unter Berufung auf Schätzungen von Analysten des Wertpapierhauses China Securities berichtet, könnten 20 bis 30 Millionen Geräte von den neuen Regelungen betroffen sein.
Die Vorgaben sind Teil des strategischen Bemühen Chinas, die Abhängigkeit von ausländischer Technologie schrittweise zu reduzieren und den Ausbau einheimischer Fähigkeiten zu beschleunigen. Dies verstärkt die Sorge vieler Beobachter im Ausland vor einer bevorstehenden Entkopplung von China in Technologiebereichen, die für die Wahrung der nationalen Sicherheit als sensibel angesehen werden. Die Entscheidung erinnert daran, wie Washington in diesem Jahr US-Regierungsbehörden die Nutzung chinesischer Technologien untersagte.
Die Ziele der chinesischen „3-5-2-Richtlinie“ sind sehr ehrgeizig. Denn auch wenn viele Regierungsbehörden bereits chinesische Hardware nutzen, so enthält diese meist ausländische Komponenten. Darüber hinaus läuft der Großteil chinesischer Software auf in den USA hergestellten Betriebssystemen. Die Bemühungen, ein einheimisches Betriebssystem zu entwickeln, sollen kürzlich neuen Aufwind erhalten haben, als zwei chinesische Software-Entwickler sich zusammentaten.
Öffnung von Chinas Finanzsektor nimmt Fahrt auf
Ausländischen Investoren können ab sofort mehr als 50 Prozent der Anteile an Joint Ventures im Bereich Lebensversicherungen besitzen. Dadurch werden mehr ausländische Versicherer und mehr ausländisches Kapital auf den chinesischen Markt gelassen.
Chinas Aufsichtskommission für das Banken- und Versicherungswesen (CBIRC) hatte am 6. Dezember verkündet, dass der von ausländischen Unternehmen gehaltene Anteil an Lebensversicherungsunternehmen mit sofortiger Wirkung von 50 auf 51 Prozent angehoben werde. Wenige Stunden später verkündete die Kommission, dass die Höchstgrenzen für ausländische Anteile ab 2020 vollkommen entfallen werden. Die Behörde vereinfacht zudem den Marktzugang für ausländische Unternehmen. Anforderungen wie das mindestens 30-jährige Bestehen einer Firma oder die zweijährige Existenz einer Repräsentanz in China wurden fallen gelassen.
Die Entscheidung wird als Teil von Chinas Anstrengungen zur Lösung des Handelskonflikts mit den USA und als Schritt zur Öffnung des chinesischen Finanzmarkts gesehen. Bereits im Oktober hatte die Nationale Aufsichtskommission für das Wertpapierwesen mitgeteilt, dass 2020 die Obergrenzen für Beteiligungen ausländischer Firmen an Unternehmen, die mit Terminkontrakten, Investmentfonds und Wertpapieren handeln, gesenkt werden sollen.
Kurz gemeldet
- Öl- und Gaspipelines: Neues staatliches Unternehmen soll Infrastruktur verwalten und Wettbewerb anregen
- Weltbank: Washington kritisiert Vergabe von günstigen Krediten an China
- Gesichtserkennung: Neue Regeln verknüpfen Gesichtsdaten und Handynummer als Identitätsnachweis
- Elektromobilität: Südkoreanischer Chemieriese LG Chem erhält chinesische Subventionen für Batterieherstellung
Der Europäische Blick
Italiens Hongkong-Resolution markiert Änderung der Chinapolitik
Die Abgeordnetenkammer des italienischen Parlaments hat eine Resolution zu Hongkong verabschiedet, die von allen Parteien einstimmig unterstützt wurde und eine deutliche Abkehr von Italiens bisheriger Chinapolitik darstellt. Die am 3. Dezember verabschiedete Resolution verpflichtet die italienische Regierung dazu, die Hongkonger Behörden aufzufordern, Ermittlungen gegen Polizeigewalt einzuleiten, Demonstranten freizulassen und zu überprüfen, warum Joshua Wong im November Hongkong nicht für einen weiteren Besuch in Europa verlassen durfte.
Sie fordert zudem chinesische Beamte in Italien auf, die Meinungsfreiheit zu achten. Die letzte Forderung ist eine Reaktion auf die Kritik der chinesischen Botschaft in Rom an Politikern, die am 28. November im italienischen Parlament eine Video-Pressekonferenz mit Joshua Wong veranstalteten. Die chinesische Botschaft bezeichnete das Gespräch als "schwerwiegenden Fehler" und "unverantwortlich". Die harten Worte lösten jedoch eine heftige Reaktion aus. Politiker aller Parteien äußerten Empörung über den Angriff auf demokratische Institutionen. Sogar die China-freundliche 5-Sterne-Bewegung ließ durch den Vorfall von der Hongkong-Resolution überzeugen – sie hatte bis dahin eine Position der "Nicht-Einmischung" in Hongkong bezogen, die Beijings Rhetorik entsprach. Das italienische Außenministerium bezeichnete die Erklärung der chinesischen Botschaft als "inakzeptable Einmischung".
Die Stimmung in Rom hat sich stark verändert. Im März dieses Jahres hatte die frühere italienische Regierung mit China eine Absichtserklärung zur Neuen Seidenstraße unterzeichnet und damit die Absicht signalisiert, sich politisch Beijing anzunähern. Die chinafreundliche Politik wurde von dem damaligen Staatssekretär für wirtschaftliche Entwicklung, Michele Geraci, angeführt. Sie sollte Italiens Handels- und Investitionsinteressen in China voranbringen.
Seit September verfolgt die neue Regierung eine ausgewogenere Chinapolitik, die im Einklang mit europäischen und transatlantischen Interessen steht. So wurde kürzlich ein Gesetz zur Cybersicherheit verabschiedet, das den Schutz der 5G-Netze in Italien zum Ziel hat. In ihrem Kommentar zur Hongkong-Resolution bekräftigte Lia Quartapelle, Abgeordnete der Demokratischen Partei (PD) und Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des italienischen Parlaments, die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit mit der EU in China-Fragen. Sie beschrieb zudem die Unterzeichnung der Absichtserklärung als einen „Alleingang“, der „Italien Beijing politisch ausgesetzt“ hatte sowie als „hässliches Blatt“ der Geschichte der italienischen Außenpolitik.
MERICS-Analyse: "Italiens neue Regierung legt den Grundstein für eine ausgewogenere China-Politik". Blogbeitrag von Lucrezia Poggetti (auf Englisch).
Im Profil
Vom System im Stich gelassen, von der Öffentlichkeit unterstützt
Ein unauffälliger 35-jähriger Chinese ist zum Symbol für Ungerechtigkeit in der chinesischen Gesellschaft geworden. Veröffentlichte Gerichtsdokumente machten seinen Fall in Anfang Dezember zu einem der meist-diskutierten Themen in China.
Li Hongyuan ist ehemaliger Angestellter von Huawei. Nach über 13 Jahren verließ er die Firma mit einer Abfindung, jedoch ohne einen Bonus, der ihm nach eigener Aussage zustand. Herr Li entschied sich daher, den chinesischen Telekommunikationsriesen zu verklagen. Kurz darauf wurde er jedoch in Shenzhen verhaftet und für 251 Tage eingesperrt. Huawei warf Li Erpressung vor, doch aufgrund fehlender Beweise wurde er schließlich Ende August freigelassen und von der Regierung am 28. November mit einer Zahlung von 100.000 CNY (13.0000 EUR) für seine Unannehmlichkeiten entschädigt.
Li Hongyuans Fall steht im starken Kontrast zu einem offenen Brief von Meng Wanzhou, CFO von Huawei und Tochter von Huawai-Gründer Ren Zhengfei, den sie ein Jahr nach ihrer Verhaftung am 1. Dezember 2018 in Kanada, veröffentlichte. Sie beschreibt darin ihre Angst, ihren Schmerz und ihre Hilflosigkeit. In den sozialen Medien reagierten zahlreiche Nutzer mit negativen Kommentaren und beschrieben Meng als „Prinzessin“. Viele betrachten hingegen den ehemaligen Huawei-Mitarbeiter Li als Symbol für die heutige chinesische Gesellschaft: ein Mann aus der Mittelschicht, der eine gute Universität besucht, sich nie um aktuelle Politik gekümmert und hart gearbeitet hat, dann jedoch von seinem eigenen Arbeitgeber belangt und vom System im Stich gelassen wird.
Kommentare zum Fall Li Hongyuan wurden bald aus den sozialen Medien entfernt, was den Zorn der chinesischen Netizens nur weiter anfachte und zu kreativen Mitteln greifen ließ, um die Zensur zu umgehen. Die Zahlenkombination “985 996 251 035 404” ist ein Beispiel dafür. 985 beschreibt Universitätsabsolventen des Programms 985 für Exzellenzuniversitäten in China, 996 steht für Arbeitszeiten von 9 Uhr früh bis 9 Uhr abends an sechs Tagen die Woche, 251 ist die Anzahl der Tage, die Li Hongyuan inhaftiert war, er ist 35 Jahre alt und 404 steht für Fehlermeldungen im Internet für gelöschte Artikel und Kommentare.
Offen wird nun im chinesischen Internet ein Boykott von Huawei-Produkten diskutiert. Auch in Europa und den USA steht das Unternehmen wegen der anhaltenden Diskussion von Sicherheitsrisiken beim 5G-Ausbau und Huaweis Engagement in Xinjiang unter Druck. Umso wichtiger wäre die gesellschaftliche Unterstützung für Huawei innerhalb Chinas. Das Unternehmen, das einst Zeichen für Nationalstolz war und einen Marktanteil 42 Prozent auf dem chinesischen Mobilfunkmarkt besitzt, ist an Rückschläge innerhalb Chinas bislang nicht gewöhnt.