Philippe le Corre: “Der Wahlsieg von Biden wird die transatlantische Zusammenarbeit wiederbeleben.“
Philippe le Corre, Wissenschaftler an der Harvard Kennedy School und (nicht ansässiger) Senior Fellow bei Carnegie, spricht über Chancen der transatlantischen Zusammenarbeit in der China-Politik nach den US-Wahlen.
Die Fragen stellte Janet Anderson, freiberufliche Redakteurin
Welche Möglichkeiten ergeben sich nach dem Wahlsieg Joe Bidens für eine verstärkte US-europäische Zusammenarbeit in der China-Politik?
Ich sehe mehrere Bereiche, in denen die EU und die kommende US-Regierung mit Blick auf Herausforderungen durch China zusammenarbeiten könnten. In erster Linie zum Beispiel beim Thema Klima: Joe Biden verkündete als eine seiner ersten Entscheidungen, dass die USA wieder dem Pariser Abkommen beitreten würden. Auch hat er eine Frist zur Erreichung der CO2-Neutralität formuliert. Diese Themen sind auch den Europäern wichtig. Eine transatlantische Koalition könnte dazu beitragen, Beijing zum schnelleren Handeln zu bewegen – zumal Xi erst kürzlich versprochen hat, die CO2-Neutralität bis 2060 zu erreichen.
Im Bereich der Wirtschaft haben Amerikaner und Europäer viel zu besprechen: Die USA und auch die EU fordern bessere Marktzugänge für ihre Unternehmen in China. Alle haben Prüf-Mechanismen entwickelt, um den Diebstahl von geistigem Eigentum durch chinesische Staatsunternehmen sowie Übernahmen wichtiger Infrastrukturen und Technologien in ihren jeweiligen Volkswirtschaften zu verhindern. Alle im Westen sind sich einig, dass im Handel mit China wieder ein Gleichgewicht hergestellt werden muss.
Letztlich steht die Frage nach demokratischen Werten im Raum. In den vergangenen Jahren hat die chinesische Regierung vermehrt Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter in Xinjiang und in Hongkong. Diese widersprechen den Grundwerten der USA und der EU. Transatlantische Verbündete sollten hier wieder mehr mit einer Stimme sprechen.
Was könnte eine bessere US-europäische Zusammenarbeit behindern?
Ich bezweifle, dass China – oder die Außenpolitik insgesamt – für Biden in den ersten Monaten Priorität haben werden. Innenpolitisch steht die USA vor großen Problemen wegen der Covid-19-Pandemie. Das Land braucht einen Wiederaufbauplan, um den durch Trump verursachten Schaden zu reparieren. Es ist auch möglich, dass die US-Regierung unter Biden anstelle eines Schulterschlusses mit der EU lieber direkte Vereinbarungen mit China und seinen Verbündeten in Asien, wie Japan und Indien, trifft. Dies war ja auch schon bei der „Hinwendung nach Asien“ (pivot to Asia) der Fall, unter der Regierung Obama, in der Joe Biden Vizepräsident war.
Darüber hinaus gibt es in Europa Stimmen, die eine Hinwendung zu China zugunsten europäischer Exporte und der europäischen Tourismusindustrie unterstützen. China wird noch für lange Zeit ein großer Markt bleiben, und europäische Unternehmen brauchen Perspektiven – auch wenn sich das chinesische Regime während der Pandemie in der europäischen öffentlichen Meinung unbeliebt gemacht hat.
Wie würde Beijing auf eine engere transatlantische Zusammenarbeit in der China-Politik reagieren?
Beijing hat immer versucht, eine transatlantische Herangehensweise an China betreffende Angelegenheiten zu unterbinden. 2015 hat China erfolgreich den Westen durch die Gründung seiner asiatischen Infrastrukturinvestmentbank gespalten, indem es europäische Länder als „Gründungsmitglieder“ anlockte. China lastet es der Einflussnahme Washingtons an, dass Huawei wichtige europäische 5G-Verträge nicht abgeschlossen hat. Um dem entgegenzuwirken, pflegt es Beziehungen mit der europäischen Geschäftswelt und gewinnt pensionierte Politiker oder ehemalige Diplomaten dafür, gegen ein transatlantisches Bündnis Lobbyarbeit zu betreiben.
China ist sich auch der Unzufriedenheit in der EU über die mangelnden Fortschritte bei dem angestrebten umfassenden Investitionsabkommen bewusst. Beijing wird womöglich auch eine spezifische Strategie für den Umgang mit der NATO entwickeln, da das Bündnis sich zuletzt zunehmend besorgt über Chinas Aufstieg gezeigt hat. Bidens Wahlsieg wird die enge transatlantische Zusammenarbeit in vielen multilateralen Angelegenheiten wiederherstellen, in denen China sich eine wichtigere Rolle erkämpft hat. Dazu gehören Bereiche wie Handel, Gesundheit oder Umwelt. China wird Kompromisse eingehen müssen, will es hier eine weitere Entkopplung vom Westen vermeiden.
Dieses Interview erschien im MERICS China Briefing vom 12. November 2020.