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MERICS Briefs
MERICS China Essentials
13 Minuten Lesedauer

Chinas Instrumente gegen Sanktionen + Globale Narrative prägen + Drei-Kind-Politik

TOP-THEMA: China stärkt Instrumente zur Abwehr westlicher Sanktionen und schwarzer Listen

Die USA und China haben in den ersten Junitagen Schritte unternommen, die dazu beitragen dürften, das beiderseitige Misstrauen weiter zu zementieren. Am 3. Juni unterzeichnete US-Präsident Joe Biden eine Verfügung, die es US-Investoren verbietet, ihr Geld in Aktien und Anleihen von 59 chinesischen Unternehmen zu investieren. Washington wirft den Unternehmen vor, Verbindungen mit dem "militärisch-industriellen Komplex" der VR China zu unterhalten und die Menschenrechte verletzende Überwachungstechnologien zu produzieren. Das Verbot, das am 2. August in Kraft tritt, schreibt Maßnahmen der Trump-Regierung fort. Diese sollen verhindern, dass US-Investitionen in chinesische Unternehmen fließen, welche die Sicherheit und das Wertesystem der USA untergraben.   

Das Investitionsverbot zielt nicht nur auf eine längere Liste von Firmen ab, von denen viele Tochtergesellschaften von staatlichen Rüstungsunternehmen sind. Es bezeichnet den Einsatz von Überwachungstechnologie für Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in China als Bedrohung für die USA. Die Verfügung stellt auch klar, dass das US-Finanzministerium, nicht das Verteidigungsministerium, zukünftige Ausweisungen vorantreiben wird.   

Dies sind nur die jüngsten in einer langen Reihe von Handels- und Investitionsbeschränkungen, die sich gegen chinesische Firmen und Technologien richten, da sich die strategische Rivalität zwischen den beiden Ländern weiter verschärft. Der US-Senat verabschiedete am Dienstag ein Gesetz, das der einheimischen Hightech-Industrie im Wettbewerb mit chinesischer Konkurrenz im Bereich von Schlüsseltechnologien mehr als 250 Mrd. USD Unterstützung in Aussicht stellt. Chinas Außenministerium erklärte dazu, der Gesetzentwurf, der auch Innovation and Competition Act genannt wird, sei Ausdruck einer Mentalität des Kalten Krieges.  

Die schwarzen Listen der USA für chinesische Firmen kommen zu den politischen Sanktionen hinzu, die gegen China wegen seines harten Vorgehens in Xinjiang und Hongkong verhängt wurden. Die USA, die EU, Großbritannien und Kanada verhängten im März Sanktionen gegen chinesische Beamte wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang, worauf Beijing mit weitreichenden Gegensanktionen reagierte.  

Angesichts des wachsenden internationalen Drucks rüstet sich Beijing weiter gegen potenzielle Strafmaßnahmen gegen seine Unternehmen und Beamten. Es erweitert sein eigenes Instrumentarium an Vergeltungsmaßnahmen, die es als diskriminierend oder anderweitig ungerechtfertigt betrachtet (siehe Tabelle).  

Am 10. Juni hat der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses Chinas erstes Gesetz gegen Ausländische Sanktionen in Kraft gesetzt, das erstmals im März auf die Agenda gesetzt wurde. Chinesische Rechtsexperten sagen, dass es endlich gleiche Bedingungen schaffen werde und Beijing die rechtlichen Befugnisse verleihe, die Washington und Brüssel seit langem hätten.  In einem Bericht über den US-Gesetzesentwurf stellte die parteistaatliche Global Times Chinas Gesetz gegen Ausländische Sanktionen als Antwort auf die “Aggressionen” Washingtons dar.  

MERICS-Analyse: “Die Stärkung der rechtlichen Instrumente zur Abwehr ausländischer Sanktionen und extraterritorialer Effekte der Rechtsprechung anderer Länder ist eine Priorität der aktuellen legislativen Agenda. Chinas Regelwerk für die Verhängung und Abwehr von Sanktionen ist im Vergleich zu den USA und der EU deutlich weniger weitreichend. Chinesische parteistaatliche Medien lobten die Schaffung eines rechtlich formalisierten Rahmens als Stärkung der Legitimität von Chinas Handlungen. Unternehmen, die mit China Geschäfte machen, müssen sich darauf einstellen, dort und in den USA mit widersprüchlichen Sanktionsregimen und schwarzen Listen konfrontiert zu werden.” Rebecca Arcesati, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MERICS 

Die KPC will das globale Image Chinas „liebenswerter“ machen

Die Fakten: Vertrauenswürdig, liebenswert und angesehen – so sollte China international gesehen werden. Dies betonte Partei- und Staatschef Xi Jinping in seiner Rede auf einer Arbeitssitzung des Politbüros zur Kommunikation von Chinas Sichtweisen und Positionen. Angesichts von Gegenwind für Chinas „Wolfskrieger“-Diplomatie sahen manche Beobachter darin eine mögliche Verschiebung hin zu einer freundlicheren Sprache. Doch der Fokus der Sitzung lag auf Chinas Ringen mit westlichen Staaten um internationale Diskursmacht.  

Beijing will ein positives Umfeld für Chinas Aufstieg schaffen. Ganz oben auf der Agenda stehen die Optimierung und bessere Koordination der Propaganda im In- und Ausland sowie die effektive „Lenkung der internationalen öffentlichen Meinung“. 

Restriktionen und Festnahmen rund um das Gedenken an den 32. Jahrestag der Tiananmen-Proteste am 4. Juni in Hongkong und Macao spiegeln die zunehmende Entschlossenheit der Kommunistischen Partei wider, die Wahrnehmung Chinas auch außerhalb des Festlands zu kontrollieren. Von EU- und US-Konsulaten in Hongkong zum Gedenken an die Tiananmen-Proteste angezündete Kerzen wurden von Beijing als "absolut untragbare" Akte der "Infiltration" und "Sabotage" verurteilt. 

Der Blick nach vorn: Neben diesen Schritten zur Verteidigung chinesischer Kernpositionen, hat das Anbieten alternativer Narrative zu denen des Westens für den Parteistaat Priorität. Chinas Diplomatie- und Propagandaapparat werden weiter weltweit nach globalem Einfluss streben. Demokratische Länder sollten sich auf entsprechende Vorstöße Chinas einstellen. 

MERICS-Analyse: "Statt einer Abkehr von der teils aggressiven Sprache zeigt die Rede neue Ambitionen: Vor allem der neue politische Fokus auf die Errichtung eines 'chinesischen Narrativsystems' (中国叙事体系) geht über frühere Bestrebungen, chinesische Positionen und Werte zu verbreiten, hinaus. Das Ziel ist die Gestaltung globaler Narrative – ob durch Überzeugung oder Druck." Katja Drinhausen, Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei MERICS 

Medienberichte und Quellen: 

China hebt “Zwei-Kind-Beschränkung” auf und enthüllt “Drei-Kind-Politik"

Die Fakten: Alle verheirateten Paare in China können künftig drei Kinder bekommen. Wochen nach der alle zehn Jahre durchgeführten Volkszählung kündigte die Regierung an, die Beschränkung auf zwei Kinder zu beenden. Die Geburtenrate war zuletzt vier Jahre in Folge zurückgegangen. Eine Umfrage der parteistaatlichen Nachrichtenagentur Xinhua ergab jedoch, dass 90 Prozent der Befragten ein drittes Kind nicht in Betracht ziehen würden. Die Umfrage wurde nach kurzer Zeit vom Netz genommen. 

Steigende Kosten in der Kindererziehung, teure Wohnungspreise, lange Arbeitszeiten und der Mangel an angemessenen Kinderbetreuungseinrichtungen werden als Hauptgründe genannt, warum Paare nicht mehr als ein Kind bekommen wollen. Die Regierung hat unterstützende Maßnahmen für in Städten lebende Paare zugesagt. Diese könnten längere Mutterschaftsurlaube und Geldprämien für Kinder enthalten.  

Versprechen reichen jedoch nicht aus, um aktuelle Probleme, darunter die Diskriminierung von Frauen am Arbeitsplatz, anzugehen. Arbeitgeber, die nicht bereit sind, für die Elternzeit von Frauen zu zahlen, zögern oft, Frauen überhaupt einzustellen. Es ist unwahrscheinlich, dass die neue Politik die Geburtenraten beeinflussen wird, da Chinas höher gebildete und in Städten lebende Frauen später heiraten und eher kleine Familien bevorzugen oder Single bleiben. 

Auf Provinzebene könnten sich die Kommunalverwaltungen unterdessen bei der Umsetzung der Richtlinien zurückhalten. Die Geldbußen auf Verstöße gegen die Geburtenkontrolle waren für sie eine Einnahmequelle. 

Der Blick nach vorn: Von den parteistaatlichen Medien ist zu erwarten, dass sie die pronatalistische Kampagnen verstärken und die traditionelle Rolle der Mutter und Fürsorgerin anpreisen werden, um Paare zu überzeugen, mehr als ein Kind zu haben.  

Die Zensur von Inhalten im Internet, die sich für die Rechte von Frauen einsetzen, wird bereits verstärkt. Einige beliebte Internetforen und Social Media Profile von Feministinnen, die kinderlose und alleinstehende Frauen unterstützen, wurden gesperrt.  

MERICS Analyse: Jenseits der demografischen Herausforderungen ist die neue Politik auch ein Indiz für das nach wie vor patriarchalisch geprägte Herrschaftssystem Chinas. Obwohl Frauen in der Arbeitswelt stark vertreten sind, wird von ihnen nach wie vor erwartet, die Hauptlast der Familiengründung und -betreuung zu übernehmen. Das Rentenalter für Frauen liegt immer noch fünf Jahre unter jenem für Männer, da erwartet wird, dass Frauen sich im Alter um ihre Enkelkinder kümmern. Diese strukturellen Probleme wirken sich auf die Karrieremöglichkeiten von Frauen aus – insbesondere im öffentlichen Sektor. Frauen sind in hohen Führungspositionen in der Kommunistischen Partei Chinas kaum vertreten, wie auch eine neue MERICS-Analyse zeigt.

Mehr zum Thema: Lesen Sie “Women hold up half the sky, but men rule the party”, eine Kurzanalyse von MERICS-Expertin Valarie Tan.

Medienberichte und Quellen: 

METRIX

51,1%

Im Mai wuchsen Chinas monatliche Importe auf 218,4 Milliarden USD und lagen 51,1 Prozent über dem Niveau von 2020. Das ist eine der stärksten monatlichen Wachstumsraten im Vorjahresvergleich überhaupt. Allerdings war das Ausgangsniveau niedrig: im Mai 2020 waren die Importe aufgrund der Coronaviruspandemie um 16,7 eingebrochen. Quelle: SCMP

VIS-À-VIS: Jude Blanchette zu 100 Jahre KPC

„Wir sehen wesentliche Veränderungen in der Rolle der KPC im Wirtschaftssystem und der Gesellschaft “

Jude Blanchette ist China-Experte am Center for Strategic and International Studies (CSIS) in den USA. In unserer Interviewserie zum hundertjährigen Bestehen der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) spricht er über die Widerstandsfähigkeit der KPC, die Veränderungen im politischen und wirtschaftlichen System Chinas und die Integration von Partei, Gesellschaft und Wirtschaft. Die Fragen stellte Nis Grünberg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei MERICS.

Woraus bezieht die KPC ihre Widerstandsfähigkeit?

Jude Blanchette: Ein wichtiger Faktor ist die Fähigkeit der KPC, Ressourcen zu mobilisieren, zu bündeln und auf bestimmte Ziele zu lenken. Das können finanzielle Ressourcen, aber auch Humankapital sein. Die KPC kann dies auf eine Weise steuern, zu der Marktwirtschaften und Demokratien möglicherweise nicht in der Lage sind.

Die zweite Eigenschaft, die die Partei widerstandsfähig macht, ist ihre Offenheit für Innovationen und Experimente. Das scheint zunächst wie eine Ironie, da wir dazu neigen, leninistische Systeme als starr zu betrachten. Doch die KPC hat den Niedergang der Sowjetunion genau studiert. Zudem gab es in der Partei immer die Bereitschaft, neue Dinge auszuprobieren, sich anzupassen, zu beseitigen, was nicht funktioniert, und offen für neue Elemente des Regierens zu sein. 

Das letzte Element dieser Resilienz ist die Verflechtung der Partei mit der Gesellschaft. Als leninistische Partei bleibt die KPC elitär, die Mitgliedschaft in der Partei steht nicht jedem offen. Dennoch versucht die Partei seit langem, sich in fast alle Bereiche der Gesellschaft zu integrieren, so dass sie allgegenwärtig geworden ist. Das hat der KPC ermöglicht, Risiken frühzeitig zu erkennen und innovativ zu sein, wenn es nötig ist. 

In ihrer Forschung argumentieren Sie, dass sich in China ein neuartiges System herausbildet und dass sich die Art und Weise wie Institutionen in Politik und Wirtschaft zusammenarbeiten grundlegend verändert. Wie genau sehen diese Veränderungen aus?

Seit den frühen 1980er Jahren bis Mitte oder Ende der 2000er Jahre stand die Wertschöpfung durch die Steigerung des materiellen Gesamtvermögens im Fokus. Heute gibt Xi Jinping die Richtung vor, wohin sich die Wirtschaft entwickeln soll. Diese ist deutlich klarer definiert als unter allen vorherigen Führungsgenerationen. 

Für Beijing wird dieses Jahrzehnt eindeutig das schwierigste seit dem Tod Maos. Da das internationale Umfeld ihren eigenen Worten nach „feindseliger“ wird, kann die KPC nicht zulassen, dass „blinde“ Marktkräfte bestimmen, wohin chinesische Unternehmen und Auslandsinvestitionen gehen. Gleichzeitig sehen wir wesentliche Veränderungen in der Rolle der KPC im Wirtschaftssystem und der Gesellschaft – einen Grad an Verankerung, den es vor 2012 nicht gab. 

Wie weit wird dieser Vorstoß der Partei in die Gesellschaft Ihrer Meinung nach gehen?

Diese Frage beschäftigt alle: Wird in Zukunft jedes chinesische Unternehmen in seiner hierarchischen Struktur die Rolle der Parteizelle und des Parteisekretärs stärken, so dass unternehmerische und politische Entscheidungen Hand in Hand gehen? Wir wissen es nicht. 

Die Integration der Partei in die Gesellschaft erfolgt aber nicht, weil die Partei alle Entscheidungen in der chinesischen Gesellschaft treffen will. Beijing versucht auf diese Weise, mit immer komplexen Realitäten umzugehen. Die Einrichtung von Parteizellen in Unternehmen ist also keine zentralisierte Verwaltung 2.0. Angesichts der weiteren internationalen Integration Chinas und einer zunehmend fragmentierten und als unberechenbar wahrgenommenen Weltwirtschaft will die Partei sicherstellen, dass sie die Prozesse versteht und im Griff hat. 

Die große Herausforderung für Analysten und politische Akteure ist nun, wie wir dieses sich neu entwickelnde hybride politische Wirtschaftssystem in Zukunft konzeptionell erfassen und behandeln sollen.


CCP 100Weitere Analysen rund um den 100. Geburtstag der Kommunistischen Partei Chinas finden Sie hier.


PROFIL: Costar Group

Die Costar Group (中光学集团有限公司) ist Chinas Branchenführer für optische und fotoelektrische Geräte – und gehört zu den 59 chinesischen Verteidigungs- und Technologieunternehmen, die kürzlich von US-Präsident Joe Biden auf eine Schwarze Liste für Investitionen gesetzt wurden. Costar ist ein gutes Beispiel dafür, wie chinesische Technologieunternehmen im Staatsbesitz im militärischen Bereich und zugleich in der Weltwirtschaft eingebunden sind.  

Das in der Provinz Henan ansässige Unternehmen hat mit den japanischen Konzernen Canon und Epson, dem deutschen Unternehmen Zeiss und anderen internationalen Akteuren zusammengearbeitet und ist über Tochtergesellschaften, die optische Membranen und Geräte herstellen, mit globalen Lieferketten verbunden. Costar besitzt Nanyang Lida Optic-Electronics, einen großen optischen Hersteller und Lieferanten, der an der Börse in Shenzhen notiert und ein wichtiger Hersteller von Linsen für Überwachungskameras ist. Darüber hinaus betreibt Costar Forschungszentren, die sowohl mit zivilen als auch mit militärischen Einrichtungen verbunden sind. Auf ihrer englischsprachigen Website rühmt sich die Costar Group damit, Geschäfte mit "nationalen Geheimdiensten und nationalen Sicherheitskräften" zu machen.  

Die Gruppe ist Teil der China Southern Industries Group Corporation, einem der größten Rüstungsunternehmen Chinas (ebenfalls auf der schwarzen Liste der USA). China Southern ist eines der 53 wichtigsten Staatsunternehmen (SOEs), die von KPC-Kadern geleitet werden. Wie andere große SOEs wurde es in den 1980er und 1990er Jahren aus den von der Regierung betriebenen Zweigstellen oder Ministerien herausgelöst.  

Viele operieren heute als globale Konzerne – oft aber auch in komplexen Konstellationen mit Verbindungen zu Staatsorganen und dem Militärsektor. Es wird immer schwieriger, klar abzugrenzen, ob große chinesische Unternehmen privat oder staatlich sind und ob sie zivile oder militärische Geschäftsziele verfolgen. 

Medienberichte und Quellen: