He Lifeng and Valdis Dombrovskis before the 10th China-EU HLED in Beijing, Sep 25, 2023
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Dombrovskis in China + Offene Kritik an Chinas Wirtschaftspolitik + Risikominderung im Technologiebereich

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EU-Handelskommissar konzentriert sich in China auf weniger kontroverse Themen

Vor dem Hintergrund der EU-Subventionsprüfungen chinesischer E-Auto-Exporte und der angestrebten Risikominderung in den Wirtschaftsbeziehungen mit China hat EU-Vizepräsident und Handelskommissar Valdis Dombrovskis diese Woche Beijing und Shanghai besucht. In der chinesischen Hauptstadt leitete er gemeinsam mit seinem kürzlich ernannten chinesischen Gesprächspartner, Vizepremier und Direktor der Finanz- und Wirtschaftskommission He Lifeng, den ersten in Präsenz stattfindenden Wirtschaftsdialog zwischen der EU und China auf hoher Ebene seit 2018. 

Dombrovskis legte die Prioritäten der EU dar und sprach Fragen des Marktzugangs an, darunter den Zugang europäischer Unternehmen zum chinesischen Finanzsektor, gleiche Wettbewerbsbedingungen und andere staatliche Eingriffe in den Handel. Beide Seiten kamen überein, einen Mechanismus einzurichten, der europäischen Firmen bei der Einhaltung chinesischer Datengesetze helfen soll. Geplant ist auch eine Arbeitsgruppe für Finanzvorschriften. 

Chinas Kritik an der als protektionistisch empfundenen Wende der EU hatte die niedrigen Erwartungen an den Gipfel noch verstärkt. Tatsächlich hat der pragmatische Ansatz Dombrovskis eine Einigung zu weniger kontroversen Fragen ermöglicht. Bei anderen von der EU priorisierten Themen gab es keine Bewegung, darunter der verbesserte Marktzugang für europäische Unternehmen und die Wiederzulassung von europäischem Rind-, Geflügel- und Schweinefleisch und Anerkennung der europäischen Regionalisierungspolitik.

Europas oberster Handelsbeauftragter betonte, dass der Ansatz der EU, die Risiken in den wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zu China zu mindern, keineswegs eine Abkopplung bedeute. Angesichts der Untersuchung zu den EV-Subventionen und Gerüchten über weitere Maßnahmen muss Brüssel chinesischen Gesprächspartnern das Konzept der Risikominderung jedoch besser erklären. China ist nach wie vor davon überzeugt, dass die EU Protektionismus betreibt, und „die Beweislast liegt eindeutig auf der Seite der EU“, wie Bai Ming, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Chinesischen Akademie für internationalen Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit des Handelsministeriums, gegenüber der parteistaatlichen Zeitung „Global Times“ erklärte. 

Dombrovskis besuchte auch Shanghai und Suzhou und zeigte damit, dass Handelsbeziehungen nicht nur in Beijing geknüpft werden. Die EU ist bestrebt, die Kommunikation mit europäischen und chinesischen Unternehmen außerhalb der Hauptstadt wiederherzustellen, nicht nur, um das (derzeit schwierige) Geschäftsumfeld besser zu verstehen, sondern auch, um ihre Interessen gegenüber der chinesischen Führung durchzusetzen. 

Dombrovskis bekräftigte erneut das prioritäre Interesse der EU, Russland zur Beendigung seines Krieges gegen die Ukraine zu bewegen und China zu einem konstruktiven Partner zu machen, insbesondere im Hinblick auf die „Schwarzmeer-Getreide-Initiative“. Seine chinesischen Gesprächspartner signalisierten jedoch, dass beide Themen von der chinesischen Führung nicht als vorrangig angesehen werden. 

MERICS-Analyse: „Dombrovskis Besuch war ein Balanceakt angesichts der EU-Ankündigungen zu Subventionsprüfungen für E-Auto-Exporte und anhaltender Differenzen in Handels- und Wirtschaftsfragen“, sagt Abigaël Vasselier, Leiterin des Programms Internationale Beziehungen bei MERICS. „Obwohl es keine Durchbrüche gab, wurde aber deutlich, dass die EU ihre Strategie gegenüber China in einer wichtigen Phase zu schärfen beginnt. Eine offensive Agenda durch weitere Dialogprozesse voranzutreiben, ist fast so, als würde man die chinesische Führung in ihr eigenes Spiel verwickeln.“

Medienberichte und Quellen:

METRIX

Das ist die Zahl der Minister, die ein halbes Jahr nach Beginn von Xi Jinpings dritter Amtszeit als chinesischer Staatschef nicht mehr Teil der Regierung sind. Die ungeklärten Amtsenthebungen von Außenminister Qin Gang und Verteidigungsminister Li Shangfu in den letzten Wochen deuten darauf hin, dass Xis Strategie, sich in der Regierung mit loyalen Verbündeten zu umgeben, nicht aufgeht. Fast alle Minister wurden von Chinas Staatschef im Zuge der Konsolidierung seiner Macht in den letzten zwei Jahren persönlich ausgewählt – Qin im Dezember, Li im März. Ihr plötzliches und lautloses Verschwinden zeigt, dass eine Ernennung zum Minister durch Xi keinen Schutz vor Korruptions- oder anderen Vorwürfen – tatsächlichen oder politisch inszenierten – darstellt. Keine guten Nachrichten für ausländische Minister, die sich stabile Arbeitsbeziehungen mit ihren neuen chinesischen Amtskollegen wünschen. 

Themen

Kritik an Chinas Wirtschaftspolitik dürfte Xi unbeeindruckt lassen

Die Fakten: Prominente chinesische Experten haben auf einem Forum für Wirtschafts- und Finanzfragen in Shanghai offen Kritik an Chinas Wirtschaftspolitik geübt und Reformen vorgeschlagen. 

  • Ning Jizhe (宁吉喆), der stellvertretende Vorsitzende des China Center for International Economic Exchanges, nannte höhere Haushaltseinkommen und ein besseres soziales Sicherheitsnetz als Voraussetzungen dafür, dass die Menschen mehr konsumieren. 
  • Yang Weimin (杨伟民), Mitglied des Ständigen Ausschusses der 13. Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes, sprach sich dafür aus, dass Marktkräfte das Handeln von Unternehmen steuern. Maßnahmen, die die Entscheidungsfreiheit der Verbraucher untergraben, sollen laut Yang abgeschafft werden.
  • Bai Chongen (白重恩), Dekan der Fakultät für Wirtschaft und Management der Tsinghua-Universität, schlug vor, die Emission von Anleihen auf die während der Pandemie gestiegenen Schulden der Lokalregierungen zu beschränken. Das würde es lokalen Beamten erleichtern, Zahlungen zu tätigen und das Wachstum in ihren Regionen zu fördern. 

Der Blick nach vorn: Die auf Reformen drängenden Äußerungen könnten darauf hinweisen, dass der politische Spielraum für Kritik größer geworden ist. Allerdings gilt der „Bund Summit“ als Treffpunkt für marktwirtschaftlich eingestellte Experten, und die internationale Ausrichtung des Treffens schafft eine Distanz zur innenpolitischen Wirtschaftsdebatte. Die Redner scheuten sich nicht, Reformen vorzuschlagen, die nicht dem wirtschaftspolitischen Kurs der Regierung entsprechen. Chinas wirtschaftlicher Abschwung scheint Kritiker zu bestärken, ob sie den wirtschaftspolitischen Kurs beeinflussen werden, bleibt abzuwarten. Xi Jinping lehnt den Wohlfahrtsstaat ab, misstraut Marktkräften und der Entscheidungsfreiheit der Konsumenten und ist fest entschlossen, Risiken im Finanzsystem zu beseitigen. 

MERICS-Analyse: „Öffentliche Forderungen, die Xis Agenda zuwiderlaufen, sind angesichts seiner Machtkonsolidierung bemerkenswert“, sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Vielleicht nehmen manche mit Blick auf das dritte Plenum das Risiko in Kauf. Es wäre jedoch ein historischer Bruch, wenn Xi von seinem derzeitigen Kurs abkehren und sich auf die Art von Reformen und Öffnung einlassen würde, die er selbst vor nicht allzu langer Zeit aufgegeben hat.“

Medienberichte und Quellen:

Risikominderung im Technologiebereich könnte zu globaler Entkopplung führen

Die Fakten: Durch den sich verschärfenden globalen Technologie-Wettbewerb gehen Länder auf der ganzen Welt dazu über, ihre eigenen Daten und IT-Infrastrukturen zu sichern und Risiken zu mindern. Das chinesische Ministerium für Industrie- und Informationstechnologie (MIIT) hat kürzlich Leitlinien für Staatsunternehmen zur Beschaffung technischer Ausrüstung herausgegeben. Daten müssen ausschließlich lokal gespeichert werden und dürfen nicht von außerhalb Chinas zugänglich sein. Unterdessen plant das deutsche Innenministerium dem Vernehmen nach, Beschränkungen für Huawei- und ZTE-Geräte in kritischen Infrastrukturen bereits ab 2026 einzuführen. Und in den USA erlitt der Aktienkurs von Apple starke Verluste, da sich Anleger nach Medienberichten über weitere Beschränkungen für die Nutzung von iPhones durch chinesische Regierungsbeamte Sorgen um die Zukunft des Unternehmens in China machen.

Der Blick nach vorn: Die staatliche Überprüfung ausländischer Technologien könnte dazu führen, dass Technologieunternehmen zunehmend von bestimmten Märkten ausgeschlossen werden oder diese meiden, womit Strategien der Risikominderung (De-Risking) faktisch zur Entkopplung führen würden. Da immer mehr Telefone, Autos und sogar Produktionsanlagen mit dem Internet verbunden sind, stehen Regierungen unter Druck, diese Infrastrukturen angemessen zu sichern, indem sie entweder mit vertrauenswürdigen Dienstleistern oder ausschließlich mit streng kontrollierten inländischen Partnern zusammenarbeiten. Dies könnte sich als disruptiv für internationale Unternehmen und ihre Präsenz in ausländischen Märkten erweisen, wie im Fall von Huawei in Deutschland oder Apple in China. Darüber hinaus verschärft die Möglichkeit von Vergeltungsmaßnahmen seitens der Regierungen politische und wirtschaftliche Risiken auf allen Seiten.

MERICS Analyse: „Risikominderung als Alternative zur Entkopplung ist in der digitalen Sphäre schwer zu erreichen“, sagt MERICS-Analystin Wendy Chang. „In unserer hypervernetzten Welt sind selbst kommerzielle Technologien wie Smartphones potenzielle Sicherheitsrisiken. Da die Hürden für den Eintritt in ausländische Märkte für Unternehmen steigen, besteht die Gefahr einer Abkopplung der globalen Technologie-Ökosysteme in separate Märkte mit separaten Angeboten.“

Medienberichte und Quellen:

Verfahren gegen Bürgerrechtler spiegelt Beijings Angst vor zivilgesellschaftlichem Engagement

Die Fakten: Die Journalistin und Frauenrechtlerin Sophia Huang Xueqin und der Arbeitnehmerrechtsaktivist Wang Jianbing stehen in China wegen mutmaßlicher „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“ vor Gericht. Sie sollen im Rahmen von On- und Offline-Aktivitäten hetzerische Aussagen gegen Chinas Staatsmacht verbreitet haben (siehe Anklageschrift). Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit in einem Gericht in Guangzhou statt, auch diplomatischen Beobachtern wird der Zugang verwehrt. Beide Angeklagten wurden vor zwei Jahren verhaftet und werden seitdem an geheimen Orten in Isolationshaft gehalten. Huang war nach 2018 eine Schlüsselfigur in Chinas MeToo- und breiterer Frauenbewegung, Wang setzte sich für bessere Bildung auf dem Land, Behindertenrechte und Arbeitsbedingungen ein.

Der Blick nach vorn: Der Prozess ist als Teil einer langjährigen Kampagne zu sehen, die darauf abzielt, die Zivilgesellschaft zu zügeln und den Spielraum für Interessenvertretung und internationalen Austausch zu Themen einzuschränken, die von der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) als tabu angesehen werden. Feministische Gruppen, Verfechter von Arbeitnehmerrechten (einschließlich marxistischer Studentengruppen) und queere Gruppen, die sich für LGBTQI-Themen einsetzen, sind in den vergangenen Jahren zunehmend unter Druck geraten. Nationalistische Kommentatoren verunglimpfen sie als Verfechter vermeintlich ausländischer Konzepte – oder sogar als ausländische Agenten.

MERICS Analyse: „Die KPC begrüßt zivilgesellschaftliches Engagement nur dann, wenn es die Agenda der Kommunistischen Partei unterstützt“, sagt Katja Drinhausen, Leiterin des Forschungsprogramms Politik und Gesellschaft am MERICS. „Die Partei bleibt ängstlich und zutiefst misstrauisch gegenüber der Entwicklung unabhängiger Interessenvertretungs- und Aktionsnetzwerke. Das harte Vorgehen schließt dabei auch Kanäle, die genutzt werden könnten, um relevante gesellschaftliche Anliegen in einer Zeit zunehmenden wirtschaftlichen Drucks und sich verändernder gesellschaftlicher Werte zu thematisieren.“

Medienberichte und Quellen:

MERICS China Digest

Berlin untersagt vollständige chinesische Übernahme des Satelliten-Unternehmens Kleo Connect (ZEIT Online) 

Die Bundesregierung wird die Übernahme der deutschen Satellitenfirma Kleo connect durch das chinesische Unternehmen Shanghai Spacecom Satellite Technology untersagen. Dieses hält bereits einen Anteil von 53 Prozent am Startup. (13.09.2023)

Neue Huawei-Produkte verdeutlichen Chinas Ehrgeiz in Sachen Technologie-Unabhängigkeit (Wall Street Journal) 

Der chinesische Telekommunikationsriese stellte diese Woche seine neuesten Tablets, Smartwatches und Kopfhörer vor, die mit „NearLink“, einer selbst entwickelten Alternative zu Bluetooth und Wi-Fi ausgestattet sind. Apple versucht seit mehreren Jahren, einen eigenen drahtlosen Chip zu entwickeln, bislang ohne Erfolg. (25.09.2023)

Kommission und China führen zweiten digitalpolitischen Dialog auf hoher Ebene (EU-Kommission)

Die EU-Kommission hat am 18. September in Beijing ihren zweiten hochrangigen digitalen Dialog mit China abgehalten. Zu den Themen gehörten Plattformen und Datenregulierung, Künstliche Intelligenz, Forschung und Innovation, grenzüberschreitende Ströme von Industriedaten und Sicherheit im E-Commerce. (18.09.2023)

Evergrande-Chef soll unter Polizeiaufsicht stehen (Der Spiegel) 

Der Vorstandsvorsitzende von China Evergrande, Hui Ka Yan, ist Medienberichten zufolge unter polizeiliche Überwachung gestellt worden. Er soll Anfang des Monats von der Polizei abgeführt worden sein und seither an einem festen Ort überwacht werden. (27.09.2023)

Warum Xi Jinping seinem Militär misstraut (Foreign Affairs) 

Eine Reihe von ranghohen chinesischen Generälen sind in den vergangenen Wochen verschwunden, darunter der Verteidigungsminister sowie die Spitze der Raketenführung. Foreign Affairs geht den möglichen Gründen nach. (26.09.2023)

China verurteilt uigurische Intellektuelle zu lebenslanger Haft (BBC) 

Die prominente uigurische Professorin Rahile Dawut wurde Berichten zufolge mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe belegt, weil sie die nationale Sicherheit gefährdet haben soll. (27.09.2023)