Wei Fenghe delivers his speech during the fifth plenary session of the International Institute for Strategic Studies (IISS) Shangri-la Dialogue at the Shangri-la hotel in Singapore, 12 June 2022
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
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Taiwan + Frauenrechte + Globale Internetarchitektur

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Beijing verschärft Ton gegenüber Taiwan

Mehr als drei Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und angesichts zunehmender Spannungen zwischen den USA und China im Indopazifik hat Beijing den Ton gegenüber Taiwan deutlich verschärft. Der chinesische Verteidigungsminister Wei Fenghe nutzte den Shangri-La-Dialog vom 10. bis 12. Juni in Singapur für eine kämpferische Ansprache über den Indopazifik. Seine schärfsten Worte auf der Sicherheitskonferenz galten Taiwan und der "Machtpolitik" der Vereinigten Staaten. China werde "nicht zögern zu kämpfen", sollte ein anderes Land Taiwan bei der "Abspaltung" helfen, sagte Wei nur wenige Tage nachdem US-Präsident Joe Biden Taiwan militärische Unterstützung im Falle eines chinesischen Angriffs versprochen hatte.

Am darauffolgenden Tag griff das chinesische Außenministerium das Thema Taiwan auf seiner regulären Pressekonferenz auf. Bei der Taiwanstraße handle es sich nicht um internationales Gewässer, da China die "Souveränität und Gerichtsbarkeit“ über die Meerenge habe, sagte Sprecher Wang Wenbin. Laut Medienberichten wiederholten chinesische Beamte diese Behauptung bei Treffen mit US-Kollegen.

Beijings harte Rhetorik und der militärische Druck auf Taiwan – der so weit gehen könnte, dass China ausländische Militärschiffe an der Einfahrt in die Taiwanstraße hindert – deuten darauf hin, dass sich China auf die Möglichkeit einer gewaltsamen Einverleibung Taiwans vorbereitet, sollten aus seiner Sicht rote Linien überschritten werden.

China bemüht sich, Vergleiche zwischen seiner Haltung gegenüber Taiwan und Russlands Vorgehen in der Ukraine zu entkräften. Die russische Invasion in der Ukraine wird die chinesische Führung aber genau beobachtet haben, um Lehren für ihre eigenen Pläne für Taiwan zu ziehen. Der Krieg in Osteuropa dürfte Beijing gezeigt haben, wie wichtig es ist, eine Einmischung anderer Mächte zu verhindern – entweder durch einen schnellen Sieg oder durch eine Blockade Taiwans, die Lieferungen oder die Verstärkung durch westliche Länder unmöglich machen würden. Die Taiwan-Straße zum eigenen Gewässer zu erklären, wirkt wie der Versuch, eine neue rote Linie einzuführen und entsprechende Fakten zu schaffen.

MERICS-Analyse: "Weis Aussagen deuten nicht auf eine unmittelbar bevorstehende Invasion Taiwans, denn diese will die chinesische Führung nach wie vor möglichst vermeiden", sagt MERICS-Expertin Helena Legarda. "Die Volksbefreiungsarmee wird ihre Szenarien für Taiwan auf der Grundlage der Lehren aus dem Krieg in der Ukraine vermutlich überarbeiten. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Die aktuellen Entwicklungen deuten aber darauf hin, dass es immer wahrscheinlicher wird, dass Beijing auf mittlere Sicht zu militärischen Mitteln greifen wird. Mit dem Versuch, unterschiedliche taiwanische Regierungen und die Bevölkerung von der ‚Wiedervereinigung‘ zu überzeugen, ist China wiederholt gescheitert. Es scheint, als würde Beijing daher den Boden für einen Angriff bereiten.“

Medienberichte und Quellen:

METRIX

60 Millionen

Bis zu 60 Millionen Internetnutzer, die dem chinesischen Livestreamer Li Jiaqi folgen, konnten erstmals etwas über die Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 erfahren. Während weltweit der Niederschlagung der Proteste am 3. und 4. Juni 1989 durch Panzer des Militärs gedacht wurde, griffen Chinas Zensoren ein: Am 3. Juni wurde Lis Livestream abrupt unterbrochen, als er einen Kuchen in Form eines Panzers auf dem Bildschirm zeigte. Obwohl der Clip offenbar nicht als Protest gedacht war, ist Li seitdem verschwunden. Berichten zufolge nutzte ein Teil seiner jungen Zuschauer VPN-Verbindungen, um über die Niederschlagung der Proteste zu recherchieren. Unter dem Druck der ständigen Zensur verblasst die Erinnerung an Tian‘anmen in China allmählich. (Quelle: Reuters)

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Brutaler Angriff auf Frauen in Tangshan schockiert China

Die Fakten: Ein brutaler Überfall auf drei Frauen, die ein Restaurant in Tangshan in der Provinz Hebei besuchten, hat bei Millionen von Menschen in China Empörung ausgelöst. Der brutale Angriff wurde von Überwachungskameras festgehalten. Die Reaktion spiegelt den seit langem bestehende Unmut über Geschlechterungleichheit, Frauenfeindlichkeit und Gewalt gegen Frauen in China. Im Internet fragten sich viele Bürger, warum Chinas hochentwickeltes Überwachungssystem nicht auf den Vorfall reagierte, warum so viele Passanten den Vorfall ignorierten und warum die offiziellen Medien die Opfer beschuldigten.

Der Blick nach vorn: Eine Überarbeitung des Gesetzes über die Rechte und Interessen von Frauen soll in der zweiten Jahreshälfte zum dritten und letzten Mal geprüft werden. Im Falle einer Verabschiedung werden Handlungen wie verbale Äußerungen mit sexuellen Konnotationen untersagt, und Arbeitgeber werden verpflichtet, Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zu ergreifen. Die Änderungen gehen jedoch nicht weit genug, um kritische Mängel bei der Rechtsdurchsetzung zu beheben. Nach den vorgeschlagenen Änderungen können Unternehmen mit Geldstrafen belegt oder ihre Zulassung entzogen werden, wenn sie Entführungen oder den Missbrauch von Frauen nicht melden. Die polizeiliche Reaktion in Fällen sexueller Belästigung wird sich jedoch weiterhin auf Verwarnungen beschränken.

MERICS Analyse: "Der Vorfall in Tangshan wirft ein grelles Licht auf den prekären Status der Frauen in der chinesischen Gesellschaft", sagt MERICS-Expertin Valarie Tan. "Der Mangel an Schutz und Rechtsmitteln ist auf tief verwurzelte patriarchalische Einstellungen und ein parteistaatliches Regime zurückzuführen, dass von Frauen erwartet, die nationalen Interessen des Staates zu erfüllen. Feminist:innen und Verfechter:innen von Frauenrechten werden als ‚radikale‘, ‚verwestlichte‘ und die Gesellschaft destabilisierende Kräfte abgestempelt. Trotz der Reformen sind Frauen weiterhin Missbrauch, Belästigung und geschlechtsspezifischer Diskriminierung ausgesetzt."

Medienberichte und Quellen:

Chinas ausländische Kapitalzuflüsse erholen sich inmitten globaler Unsicherheit

Die Fakten: Chinas Finanzmärkte haben erstmals seit den letzten Monaten einen signifikanten Nettozufluss von 2,5 Milliarden USD an ausländischem Kapital verzeichnet.  In den Monaten zuvor hatten ausländische Anleger chinesische Vermögenswerte verkauft – aus Sorge um Verstöße Chinas gegen die Sanktionen gegen Russland und negative Auswirkungen der Corona-Beschränkungen. Die Trendwende im Mai erklärt sich durch den steigenden Wert wichtiger Indikatoren wie dem chinesischen Aktienindex CSI, starke politische Signale zur Belebung der Konjunktur, die Erwartung, dass China von den Sanktionen gegen Russland nicht betroffen sein wird und das Ende des Lockdowns in Shanghai.

Der Blick nach vorn: Auch weil die US-Notenbank im Kampf gegen die Inflation die Zinsen angehoben hat, sind Kapitalmärkte weltweit erheblichen Schwankungen unterworfen. Auch die getrübten Aussichten für die Märkte in den USA und Europa treiben Anleger nach China. Sie scheinen zu hoffen, dass China den Omikron-Ausbruch unter Kontrolle bekommt und wieder zum "sicheren Hafen“ wird, der es während der Pandemiejahre 2020 und 2021 lange war.

MERICS-Analyse: "Wenn man auf die Zahlen blickt, scheint es nachvollziehbar, dass ausländische Anleger wieder in China investieren", sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. "Bedenklich ist allerdings, dass sie die Videokonferenz von Ministerpräsident Li Keqiang mit Beamten aus dem ganzen Land Ende Mai an der Wall Street wohl keine Aufmerksamkeit fand. Diese war ein offensichtlicher und verzweifelter Versuch, Chinas Wirtschaft inmitten der anhaltenden Omikron-Welle und Lockdowns vor dem kompletten Zusammenbruch zu bewahren."

Medienberichte und Quellen:

China nimmt neuen Anlauf für Einflussnahme auf Internet-Architektur

Die Fakten: China hat erneut einen Vorstoß unternommen, die Regelung des Internet-Datenverkehrs in seinem Sinne zu beeinflussen. Auf der Konferenz der Internationalen Fernmeldeunion (ITU) von 6. bis 16. Juni in Ruanda stellte Beijing das von Huawei entwickelte Internetprotokoll IPv6+ vor, eine Erweiterung des IPv6-Standards, der das IPv4-Kommunikationsprotokoll zur Identifizierung und Lokalisierung von Computern in Netzwerken und zur Übermittlung des Datenverkehrs über das Internet ablösen soll. Bereits 2019 hatte Huawei – allerdings erfolglos – der ITU-Beratungsgruppe für Telekommunikationsnormen sein „NewIP“-Protokoll vorgeschlagen. Huawei möchte das bestehende IP-Routing durch ein System ersetzen, das es staatlichen Behörden ermöglichen würde, den Datenverkehr im Netz zu steuern.

Der Blick nach vorn: Nach der Ablehnung von NewIP ist Beijing bestrebt, IPv6+ als rein technische Änderung darzustellen – obwohl es die Tür öffnen würde für Zensur und die Trennung von Netzwerken. Dadurch könnte jedes Land das Internet innerhalb seiner Grenzen selbst gestalten und kontrollieren. Entscheidungen über Internet-Kommunikationsprotokolle werden von zwei Gremien getroffen: der von privaten Akteuren dominierten Internettechnik-Arbeitsgruppe (Internet Engineering Task Force, IETF) und der von staatlichen Akteuren geprägten ITU. Die IETF hat die Vorschläge Chinas bislang nicht aufgegriffen. Deshalb drängt Beijing auf eine größere Entscheidungsmacht der ITU und nutzt deren Treffen, um Entwicklungsländer auf seine Seite zu ziehen.

IPv6 wird benötigt, weil der Welt die IP-Adressen ausgehen. Die bei der Verteilung der IPv4-Adressen vernachlässigten Entwicklungsländer brauchen das IPv6-Protokoll, um den Bedarf an neuen Internetanschlüssen zu decken. Sollte Huawei diese Länder bei der Einführung von IPv6 unterstützen, könnte es im Gegenzug die Verwendung der IPv6+-Erweiterung zur Bedingung machen.

MERICS-Analyse: "China hat aus dem Rückschlag bei seinem NewIP-Vorstoß gelernt", sagt MERICS-Expertin Antonia Hmaidi. "Daher versucht es jetzt, IPv6+ voranzutreiben, indem es den Anschein erweckt, es handele sich um ein rein technisches Protokoll. Tatsächlich hätte IPv6+ eine Zentralisierung und Segmentierung des Internets zur Folge.“

Medienberichte und Quellen:

IM PROFIL

Ma Xingrui: Parteisekretär von Xinjiang kann auf Beförderung im Herbst hoffen

Unter den Anwärtern auf einen Sitz im Politbüro auf dem Parteitag im Herbst befindet sich auch Ma Xingrui. Der 62-Jährige stammt aus der Provinz Heilongjiang im Nordosten Chinas und wurde im Dezember 2021 zum Parteisekretär der „Uigurischen Autonomen Region Xinjiang“ befördert – und damit in eine politisch äußerst heikle Position. Das kann auch als Ausdruck des Vertrauens gewertet werden, das Partei- und Staatschef Xi Jinping in Ma setzt. Da sein Vorgänger in Xinjiang, Chen Quanguo, seinen Sitz im Politbüro demnächst aus Altersgründen räumen muss, könnte Ma in das zweitwichtigste Entscheidungsgremium der Kommunistischen Partei Chinas (KPC) aufsteigen.

Sollte Ma auch für den Fall seiner Beförderung den Posten in Xinjiang behalten, könnte das eine Abkehr von der "Anti-Terrorismus"-Rhetorik seines Vorgängers hin zur Betonung der wirtschaftlichen Entwicklung der Region bedeuten – zumindest in offiziellen Erklärungen.

Ma hat einen Doktortitel in Mechanik und bringt eine seltene Kombination von Fähigkeiten mit: er verfügt als Gouverneur in Guangdong (2016-21) über Verwaltungserfahrung. Zudem bringt er als früherer Leiter von staatlichen Unternehmen in der Luft- und Raumfahrtindustrie Erfahrung in der Wirtschaft mit. Ma gilt als Mitglied der sogenannten "Luft- und Raumfahrt-Clique" (航天系), ranghohe Beamte mit Erfahrung in Raumfahrt und Verteidigung, die Chinas strategische Industrien entscheidend prägen.

Ma hat sich bei der Entwicklung wichtiger strategischer Technologien mit zivilen und militärischen Verwendungsmöglichkeiten bewährt. Da diese für Xi eine hohe Priorität haben, konnte Ma in der politischen Hierarchie Chinas aufsteigen, auch ohne jemals direkt für den KPC-Generalsekretär gearbeitet zu haben. Nach seiner Tätigkeit als Vizeminister für Industrie und Informationstechnologie und als Direktor der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas (in dieser Zeit führte China seine erste Mission zur Erforschung der Mondoberfläche durch) verfügt Ma über ein äußerst vielseitiges Profil mit Erfahrungen in Unternehmen, in der technischen Verwaltung und in politischen Führungspositionen. Auch sein vergleichsweise junges Alter machen ihn zu einem aussichtsreichen Kandidaten für einen noch höheren Posten in Partei und Staat, sollte Xi auch weiterhin auf seine Loyalität vertrauen.

MERICS CHINA DIGEST

China veröffentlicht neue Strategie für Resilienz gegen Klimawandel bis 2035 (SCMP) 

Das chinesische Ministerium für Ökologie und Umweltschutz hat gemeinsam mit 16 weiteren Behörden eine Strategie veröffentlicht, mit der China bis 2035 eine „klimaresiliente Gesellschaft“ werden soll. Im Zentrum der Strategie stehen Monitoring, Frühwarnsysteme und Risikomanagement. (15.06.2022)

Hongkong soll laut neuen Schulbüchern niemals britische Kolonie gewesen sein (The Guardian)

Neue Schulbücher sollen Hongkonger Schülern vermitteln, dass ihre Stadt nie eine britische Kolonie gewesen sei. Laut Medienberichten übernehmen die Lehrmaterialien zudem die offizielle Erzählung Beijings, nach der „ausländische Mächte“ hinter der Protestbewegung von 2019 standen. (15.06.2022)

China könnte Weg für Börsennotierung von Ant Financial freimachen (Bloomberg)

Die chinesische Finanzaufsicht hat erste Schritte unternommen, um den Börsengang des Finanzdienstleisters Ant Financial nun doch zu ermöglichen. Dessen geplatzte Börsennotierung des Unternehmens vor zwei Jahren bildete den Anfang einer Regulierungswelle in Chinas Technologiebranche. (09.06.2022)

USA und EU planen Finanzierungshilfen für Cybersicherheit in Entwicklungsländern (WSJ)

Washington und Brüssel möchten bei der Finanzierung von digitaler Infrastruktur in Entwicklungsländern zusammenarbeiten. Das Wall Street Journal zitierte einen EU-Vertreter, demzufolge die USA und EU Alternativen zu womöglich mit Datenschutzrisiken behafteten chinesischen Technologien anbieten möchten. (15.06.2022)