Von der Leyen und Macron in China + Alibaba spaltet sich in 6 Unternehmen + China sperrt ausländische Nutzer aus Datenbank
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Von der Leyen und Macron versuchen sich in Beijing an Risikominimierung
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen haben am Donnerstag ihre gemeinsame Reise nach China beendet. Sie trafen in Beijing mit Staats- und Parteichef Xi Jinping zusammen und führten getrennte Gespräche mit dem neuen Regierungschef Li Qiang. Das europäische Duo wollte China dazu bewegen, sich für die Beendigung des russischen Kriegs in der Ukraine einzusetzen und die europäische Skepsis an Chinas Positionspapier zur Beendigung des Konflikts zum Ausdruck bringen. Darin werden russische Annexionen nicht grundsätzlich abgelehnt.
Macron, der von der Leyen eingeladen hatte, ihn bei seinem offiziellen Staatsbesuch zu begleiten, sollte im Anschluss für weitere Gespräche mit Xi nach Guangdong reisen, wo französische und chinesische Führungskräfte Handelsverträge unterzeichneten. Macron wurde von einer etwa 50-köpfigen Wirtschaftsdelegation begleitet.
Macrons und von der Leyens Äußerungen zur Reise warfen Fragen auf, ob eine einheitliche europäische Position zu China erreichbar ist. Macron sagte, er wolle nicht glauben, dass eine Eskalation von Spannungen zwischen China und dem Westen unvermeidbar sei. Von der Leyen indes hatte wenige Tage vor dem Besuch in ihrer bisher umfassendsten Rede zur EU-China-Politik zwar vor einer Entkopplung von China gewarnt, zugleich aber zu einer Minderung von Risiken in den Beziehungen aufgerufen.
Ihre Politik des politischen und wirtschaftlichen "De-Risking" – also Verminderung von Risiken – zielt darauf ab, strategische Abhängigkeiten von China zu verringern. Die EU soll ihre Instrumente zum Schutz der eigenen Wirtschaft effektiv einsetzen, einen offenen und selbstbewussten Dialog mit China über strittige Themen führen und gleichzeitig offen für Zusammenarbeit in ausgewählten Bereichen bleiben. China werde, so hatte es von der Leyen formuliert, im Inland repressiver und im Ausland selbstbewusster. Gleichzeitig rief sie dazu auf, Spielräume für konstruktive Beziehungen zu nutzen.
Die Rede wurde von Beijing erwartungsgemäß distanziert bewertet, auch wenn explizite Kritik an von der Leyen ausblieb. Der chinesische Botschafter der EU erklärte, ihr „Redenschreiber“ habe China wohl „nicht wirklich“ verstanden oder chinesische „Positionen absichtlich verzerrt“. Von der Leyens Agenda der Risikominimierung gefällt China nicht, doch angesichts der Zeichen für diplomatische Entspannung verzichtete Beijing darauf, die EU-Kommissionschefin offen anzugehen.
Auszüge aus der chinapolitischen Rede von der Leyens:
- Ukraine: Die EU lehnt diplomatische Vorstöße ab, die russische Annexionen ukrainischen Territoriums zulassen. Dies wird in Chinas Positionspapier zur Beendigung des Krieges suggeriert. Wie sich Beijing hier in Zukunft aufstellt, wird die Perspektiven der Beziehungen zwischen der EU und China bestimmen.
- Strategische Abhängigkeit: Die Kommission schlägt ein Gesetz zu kritischen Rohstoffen vor, um die übermäßige Abhängigkeit von Einfuhren seltener Erden (z. B. Lithium oder Kobalt) aus China zu verringern.
- Neue Instrumente: Die Kommission wird bis Ende des Jahres ihre Strategie für wirtschaftliche Sicherheit ausarbeiten und einen gezielten Prüfmechanismus für Auslandsinvestitionen vorschlagen, mit dem Zugänge zu sensiblen europäischen Technologien geregelt werden sollen.
- Investitionsabkommen CAI: Die EU muss das Abkommen vor dem Hintergrund der neuen geopolitischen Gegebenheiten und ihrer China-Strategie neu bewerten, was die ohnehin geringen Chancen auf eine Ratifizierung weiter verringert.
- Kooperationsmöglichkeiten: Es bleibt Raum für Kooperation mit China in ausgewählten Bereichen wie Klimawandel, biologische Vielfalt, Pandemievorsorge, Nichtverbreitung von Nuklearwaffen oder globaler Finanzstabilität.
- Partnerschaften: Auch mit Blick auf ihre Beziehungen zu China wird die EU mit einem breiten Spektrum von Partnern im indopazifischen Raum und dem globalen Süden Kooperation suchen.
MERICS-Analyse: „Von der Leyens Aufruf zur Reduzierung von Risiken in den Beziehungen zu China ist ein Versuch, den richtigen Ton im wirtschaftlichen und systemischen Wettbewerb zu finden. Sie will eine eigene europäische China-Agenda definieren inmitten des scharfen Wettbewerbs zwischen den USA und China", sagt MERICS-Analyst Grzegorz Stec. „Wie dieses ‚De-Risking‘ in der Praxis aussehen wird, ist offen. Europas Hauptstädte könnten zögern, von der Leyen zu folgen. Manche Regierungschefs dürften weiter vor allem kommerzielle und diplomatische Beziehungen zu China wiederbeleben wollen. Doch eine gemeinsame europäische Position bleibt dringend erforderlich. Von der Leyen wird um Konsens für ihren De-Risking-Vorschlag werben müssen."
Medienberichte und Quellen:
- Chinesisches Außenministerium: Pressemitteilung zum Besuch
- FT: Brussels calls on China to use influence with Russia to rein in war
- European Commission: Speech by President von der Leyen on EU-China relations to the Mercator Institute for China Studies and the European Policy Centre
- IPQ: Six Priorities for “De-risking” EU Relations with China
METRIX
173 Milliarden
Dies ist nach Daten der chinesischen Zollbehörde GAC der ungefähre Gesamtwert des bilateralen Handels zwischen China und Brasilien im Jahr 2022 in US-Dollar. Dank eines neuen Abkommens können die beiden Länder direkt in chinesischen Yuan (CNY) und brasilianischen Real handeln, nicht nur in Dollar. Beijing will den Yuan als internationale Währung stärken, es trifft dabei durchaus auf Interesse bei einigen Ländern, die Risiken durch US-Sanktionen und Zinserhöhungen verringern wollen.
THEMEN
Alibaba spaltet sich als Reaktion auf Regulierungen in sechs Unternehmen auf
Die Fakten: Chinas Regulierungsbehörden beobachten offenbar wohlwollend die Pläne des Internet-Giganten Alibaba, seine sechs Kerngeschäftsbereiche in unabhängige Tochtergesellschaften aufzuspalten. Künftig sollen der inländische und der globale Internet-Handel, die Logistiksparte, das Cloud Computing, die digitalen Kartendienste und Lebensmittelzustellung sowie Medien und Unterhaltung in unabhängige Tochtergesellschaften überführt werden. Nach Angaben von Alibaba sollen alle Tochterfirmen von eigenen Geschäftsführern und einem eigenen Vorstand geleitet werden. Sie sollten so Flexibilität erhalten, in einem sich ändernden Umfeld zu operieren. Auch Börsengänge sollten dadurch laut einer Mitteilung Alibabas leichter möglich werden.
Der Blick nach vorn: Beijings offensichtliche Akzeptanz von Alibabas Plan lässt den Schluss zu, dass Chinas Tech-Giganten sich nun im Sinne der Regierung an die neuen Bedingungen nach zwei Jahren strenger Regulierung des Sektors anpassen. Westliche Kommentatoren werteten den investorenfreundlichen Schritt Alibabas als Zeichen für ein Ende der strengen Regulierung des Sektors. Doch die neue Aufteilung entspricht ganz Beijings Vorgabe, "ungeordnete Kapitalexpansion“ zu unterbinden. Die Trennung von chinesischer und internationaler E-Commerce-Sparte dürfte zudem die Einhaltung der neuen chinesischen Datenschutzbestimmungen vereinfachen, und die Abspaltung des Medien- und Unterhaltungssektors würde das Unternehmen als Ganzes vor möglichen behördlichen Maßnahmen gegen Inhalte schützen. Nachdem Beijing Chinas Tech-Giganten auf Linie gebracht hat, signalisiert das wohlwollende Schweigen auch, dass die Unternehmen nun wieder Wachstum, Beschäftigung und Innovation vorantreiben sollen.
MERICS Analyse: „Die Aufspaltung der Kerngeschäftsbereiche von Alibaba könnte die Einhaltung von Vorschriften und politischen Bestimmungen erleichtern, insbesondere für die weniger sensiblen Einheiten", sagt MERICS-Experte Jacob Gunter. „Dieser Schritt mag für andere Unternehmen, die von der Tech-Regulierungskampagne erfasst wurden, nicht angemessen sein. Aber wir können davon ausgehen, dass auch andere Tech-Giganten neue Strategien ausprobieren werden, um sich den neuen Regeln anzupassen.“
Medienberichte und Quellen:
China sperrt ausländische Nutzer aus wichtiger Datenbank aus
Die Fakten: Die Plattform China National Knowledge Infrastructure (CNKI) hat Anfang April den Zugang von Ausländern zu mehreren Online-Datenbanken gesperrt. In der führenden akademischen Datenbank sind Studien, Dissertationen und staatliche Statistiken aus dem ganzen Land verfügbar. Die Plattform war in den vergangenen Monaten eingehend von der obersten chinesischen Cybersicherheitsbehörde CAC untersucht worden. Durch den Ausschluss ausländischer Nutzer:innen soll offenbar die Cybersicherheit erhöht werden. Während sich China nach der Corona-Pandemie wieder für ausländische Touristen und Geschäftsleute öffnet, werden China-Forschende künftig auf eine wichtige Informationsquelle verzichten müssen.
Der Blick nach vorn: CNKI ist nicht die erste Plattform, die Ausländern den Zugang verwehrt. Die Sperrung scheint Teil eines fortschreitenden Trends zu sein. Im März zog der Oberste Volksgerichtshof Chinas Hunderttausende von Verwaltungsurteilen von seinem Online-Portal ab und reduzierte damit die Gesamtzahl der verfügbaren Urteile um 99,99 Prozent. Wenige Monate zuvor hatte bereits die Datenbank Qichacha den Zugang für alle Personen ohne chinesische Telefonnummer gesperrt.
MERICS-Analyse: „Die teilweise Sperrung von CNKI zeigt, wie fragil die Zugänge zu Informationen über China geworden sind“, sagt MERICS-Analyst Vincent Brussee. „Solche Schritte sind das Resultat von Xi Jinpings Politik, der nationalen Sicherheit alles unterzuordnen. Viele der nun versiegten Quellen boten Einblick in die immer noch reichhaltigen und pluralistischen akademischen Debatten in China. Andere trugen dazu bei, Belege für mögliche Menschenrechtsverletzungen zu finden. In Zukunft werden Akteure im Ausland wichtige Entscheidungen über China ohne Zugang zu relevanten Informationen treffen müssen.“
Medienberichte und Quellen:
China setzt sich gegen US-Exportkontrollen im Chipsektor zur Wehr
Die Fakten: Die chinesische Cyberspace-Behörde CAC will mit Verweis auf Fragen der „Netzwerk-Sicherheit“ die im Land verkauften Produkte des US-Speicherchipherstellers Micron einer Prüfung unterziehen. Der Schritt wird als Reaktion gegen US-Ausfuhrkontrollen interpretiert, die Chinas Halbleiterindustrie betreffen. Micron ist in China kein großer Marktteilnehmer und verkauft dort hauptsächlich an dort ansässige internationale Unternehmen. Für Beijing ist es somit leicht, das Unternehmen zu bestrafen, ohne einheimische Firmen zu schädigen. Chinesische Medien bejubelten den Schritt. Sie porträtierten Micron als feindliche Konkurrenz und warfen dem Unternehmen Einflussnahme auf die US-Regierung vor mit dem Ziel, Chinas Geschäft mit Speicherchips zu schädigen.
Der Blick nach vorn: China hat in den vergangenen Jahren im Bereich Halbleiterchips erhebliche Marktanteile gewonnen und gegenüber den USA mächtig aufgeholt, bei Speicherchips haben die USA mittlerweile nur noch einen kleinen Anteil. Chinas größter Hersteller von Speicherchips, YMTC, erreicht 2021 einen Weltmarkt-Anteil von fünf Prozent, während die USA mit Micron einen Marktanteil von rund 22 Prozent halten. Im Dezember setzten die USA YMTC auf eine schwarze Liste und versperrten der Firma den Zugang zu Chipfertigungsanlagen. Mit einer milliardenschweren Unterstützung durch die chinesische Regierung plant YMTC derzeit den Bau einer neuen Chipfabrik. Das Unternehmen arbeitet mit lokalen Ausrüstungslieferanten und älteren Maschinen zur Chipherstellung, die sich bereits in China befinden.
MERICS-Analyse: „Die parallel getroffenen Maßnahmen gegen US- und chinesische Speicherchiphersteller müssen ausländischen Unternehmen zu denken geben“, sagt MERICS-Analystin Antonia Hmaidi. „Ausländische Unternehmen in China sind aufgrund der zunehmenden internationalen Spannungen wachsendem Druck ausgesetzt. Der Verweis auf Cybersicherheit ist für China zum Mittel geworden, auf Exportkontrollen der USA und ihrer Verbündeten sorgfältig kalibrierte Antworten zu entwickeln.“
Medienberichte und Quellen:
- Wall Street Journal: China opens cybersecurity probe of Micron
- Financial Times: China’s YMTC set for chip comeback despite US export controls
- Sina.com: Micron finally sanctioned by China
VIS-À-VIS
Vijay Gokhale: „Indien hält Europas strategische Autonomie für wichtig“
MERICS China Essentials sprach mit Senior Fellow Vijay Gokhale über den Einfluss Chinas auf die Beziehungen zwischen Europa und Indien. Gokhale war von 2018 bis 2020 Indiens Außenminister und zuvor Botschafter in sowohl China als auch Deutschland.
Bundeskanzler Scholz besuchte kürzlich Indien auch mit dem Ziel, Wege zu eruieren, eine zu große Abhängigkeit von China zu vermeiden. Wie wirken sich die Spannungen zwischen der EU und China auf ihre Beziehungen zu Indien aus?
Die Europäer sind unzufrieden mit Chinas politischer und diplomatischer Unterstützung für Russland, auch mit der dort vertretenen These, der Krieg sei Russland vom Westen unter Missachtung von dessen geopolitischen und sicherheitspolitischen Interessen aufgezwungen worden. Aus indischer Sicht halten die Europäer China für einen zu wichtigen globalen Akteur, um dem Land die kalte Schulter zu zeigen. Die kritische Reaktion des ukrainischen Präsidenten Selenskyi auf Chinas Positionspapier zur Erreichung eines Friedens wird nach indischer Auslegung in Europa weitgehend unterstützt.
Die meisten Inder denken auch, dass der chinesische Markt für große Teile Europas sehr wichtig ist. Folglich halten sie einen nennenswerten Abzug europäischer Unternehmen oder europäischen Kapitals aus China für unwahrscheinlich. Sie rechnen nicht damit, dass eine Verschlechterung der EU-chinesischen Beziehungen Indien wirtschaftlich viel bringen wird.
Auf der politischen Seite besteht jedoch sowohl in Indien als auch in der EU eine größere Bereitschaft, ein gemeinsames Verständnis für Chinas geostrategische Ziele zu entwickeln. Indien sieht eine Chance, mit Europa einen gemeinsamen strategischen Ansatz zu entwickeln. Es liegt im gemeinsamen Interesse Europas und Indiens, Frieden und Stabilität sowie eine regelbasierte Ordnung im indo-pazifischen Raum zu gewährleisten. Europa und Asien vereint die Sorge, dass China seine eigene Ordnung im indopazifischen Raum durchzusetzen versucht.
Wie bewerten indische Beobachter die China-Politik Europas und der USA? Wird die EU im Verhältnis zu den USA und auch zu China als „strategisch autonom“ angesehen?
In Indien wurde die veränderte Sicht der EU auf China seit 2019 zur Kenntnis genommen. China wird dort jetzt nicht mehr nur als "Partner" sondern als "Systemrivale" gesehen. Es wird aber auch gesehen, dass die Mitgliedstaaten unterschiedliche Haltungen haben. Große Mitgliedstaaten wie Deutschland und Frankreich betrachten China mit Blick auf das globale Machtgleichgewicht eher strategisch. Kleinere europäische Staaten hingegen orientieren sich offenbar eher an der US-Haltung, nachdem China Sanktionen gegen Litauen verhängte und Russlands Einmarsch in die Ukraine politisch und moralisch unterstützte. Dass die EU die US-Technologiesanktionen gegen China in vollem Umfang mittragen, glauben indische Beobachter eher nicht – wegen der befürchteten Nachteile für den europäischen Halbleitersektor.
Eine weitere Annäherung zwischen den USA und der EU in Bezug auf China wird in Indien in Frage gestellt. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Konflikts sieht es so aus, dass beide unterschiedliche strategische Prioritäten verfolgen. Indien sieht den europäischen Balanceakt zwischen China und den USA als vergleichbar zu dem, was es selbst zwischen dem Westen und Russland versucht. Indien hält es für wichtig, dass Europa seine strategische Autonomie in globalen Angelegenheiten bewahrt.
China und Indien haben sich geweigert, sich mit dem Westen gegen den Krieg Russlands in der Ukraine zu stellen. Könnten beide Länder in dem Konflikt vermitteln?
Es gibt grundlegende Unterschiede zwischen den chinesisch-russischen und den indisch-russischen Beziehungen. Indien unterhält seit 1947 ungebrochen freundschaftliche Beziehungen zu Russland. Die bilateralen Beziehungen sind nicht so starken Schwankungen unterworfen wie die zwischen China und Russland. Stabile Beziehungen zu Russland waren ein wichtiges Element der Politik der Blockfreiheit nach dem Zweiten Weltkrieg, und bleiben auch in der derzeitigen Multi-Blockbildung wichtig.
Auf der anderen Seite war Chinas Russlandpolitik stets von Zweckmäßigkeit und Machtpolitik bestimmt. Aus der gegenwärtigen strategischen Perspektive sieht China ein Bündnis mit dem Regime von Wladimir Putin als sinnvollste Option. Im Falle Indiens beruhen die Beziehungen nicht auf persönlichen Beziehungen, sondern auf abstrakteren Ansätzen wie gegenseitigem Respekt und dem Fehlen grundlegender Interessenkonflikte.
Die Reaktionen Indiens und Chinas auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine unterschieden sich sehr grundlegend. Indien hat von Anfang an Gewalt und Krieg als Mittel zur Streitlösung abgelehnt. Es hat alle Parteien zum Dialog aufgefordert und auch die ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen in Butscha und an anderen Orten verurteilt.
Indien ist sensibel für die europäische Betroffenheit durch den Krieg und erkennt diese an. Indien hält mit Russland als auch der Ukraine Kontakt und unterstützt alle Bemühungen um eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung der Situation. Es ist jedoch verfrüht, ohne den Wunsch der betroffenen Parteien über eine spezifische Rolle als Vermittler zu sprechen.
Interview: Gerrit Wiesmann
IM PROFIL
Kong Yiji: Eine klassische Romanfigur erwacht zu neuem Leben
Kong Yiji, eine Romanfigur des berühmten chinesischen Schriftstellers Lu Xun, macht derzeit in Chinas Internet Furore. Für Chinas junge Netizens ist er zum Symbol geworden für die schlechten Berufsaussichten Studierender nach dem Universitätsabschluss. Gebildet, aber verarmt, freundlich, aber pedantisch, wird die fiktive Figur Kong von den anderen Gästen in seiner Stammkneipe verspottet – und nimmt ein trauriges Ende.
In einer Kurzgeschichte von Lu Xun aus dem Jahr 1918 ist Kong Yiji ein verarmter Gelehrter in der vormodernen Feudalgesellschaft Chinas. In der Schilderung seines Schicksals verpackt Lu herbe Kritik am System der kaiserlichen Beamtenprüfungen und an der Gleichgültigkeit des Staats gegenüber gesellschaftlichen Randgruppen.
Seit Januar tritt Kong Yiji in einem neuen, selbstironischen Format auf der chinesischen Tiktok-Variante Douyin in Erscheinung. Angehende oder frische Hochschulabsolventen identifizieren sich in ironischen Bemerkungen mit dem glücklosen Kong. „Jetzt, wo ich 16 Jahre lang zur Schule gegangen bin, kann ich ja wohl keinen Straßenstand mehr aufmachen“, lautet einer der zynischen Kommentare. „Der Hochschulabschluss ist irgendwie auch ein Gefängnis“.
Ende 2022 lag in China die Arbeitslosenquote bei den unter 24-Jährigen bei 16,7 Prozent, dreimal so hoch wie die durchschnittliche Arbeitslosenquote in den Städten. Die Online-Kommentare der „modernen Kong Yijis“ sind die Reaktion auf den Druck und ähneln der sogenannten „Liegenbleiben“-Bewegung (躺平) von 2021, in der sich die Desillusionierung nach jahrelangen Covid-Einschränkungen ausdrückte.
Lu Xuns Figur Kong Yiji ist, so die Interpretation der Kurzgeschichte, vor allem Opfer eines „kannibalistischen“ Feudalsystems. Er geht am Ende zugrunde, nachdem ihm wegen eines Diebstahls die Beine gebrochen werden. Durch die Identifikation mit diesem traurigen literarischen Schicksal wollen auch Chinas junge Netizens wohl darauf hinweisen, dass ihre Arbeitslosigkeit nicht auf individuelles, sondern auf strukturelles Versagen zurückzuführen ist.
Medienberichte und Quellen:
MERICS CHINA DIGEST
Parteiweite Bildungskampagne zum Xi Jinping-Denken (China Daily)
Von allen Parteimitgliedern und Kadern wird erwartet, dass sie das Studium und die Umsetzung der Gedanken von Xi Jinping zum Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Ära weiter vorantreiben, um die auf dem 20. Parteitag im vergangenen Herbst festgelegten strategischen Ziele zu erreichen. Einige Analysten sehen in dieser sechsten Bildungskampagne einen weiteren Versuch Xis, seine Theorie auf Xi Jinpings Gedanken zu verkürzen und sich in der Parteihierarchie auf einen Rang wie Mao zu heben. (02.04.2023)
China kritisiert Empfang von Taiwans Präsidentin Tsai in den USA (BBC)
Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen hat sich in Kalifornien mit dem Sprecher des US-Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, getroffen. Beijing kritisierte erwartungsgemäß das Treffen, außerdem wurde eine Flotte chinesischer Marineschiffe, darunter der Flugzeugträger „Shandong“, etwa 370 km vor der Ostküste Taiwans gesichtet. Da sich der französische Präsident Macron und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zurzeit in Beijing aufhalten, wurde erwartet, dass Chinas militärische Antwort gemäßigter ausfallen wird als im vergangenen Jahr, als US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi Taiwan besuchte. (06.04.2023)
Apps mit chinesischen Verbindungen können mehr Daten sammeln als TikTok (Washington Post)
Nach Recherchen der „Washington Post“ verschleiern manche populäre VPN-Netzwerke (VPNs), dass sie aus China stammen. Dies ist problematisch, weil die chinesischen Behörden nach dortigem Recht unter bestimmten Bedingungen Unternehmen mit Sitz im Inland zur Herausgabe von Daten zwingen können. (26.03.2023)
China startet im Wettbewerb mit USA ein neues KI-Programm (SCMP)
Chinas Ministerium für Wissenschaft und Technologie hat eine neue Initiative zur Förderung der künstlichen Intelligenz (KI) in der wissenschaftlichen und technologischen Forschung angekündigt. Das Programm wird wichtige Bereiche wie die Entwicklung von Medikamenten, die Genforschung und die Biologie in den Vordergrund stellen und gleichzeitig eine verbesserte Beratung bieten. (28.03.2023)