Politische Werte in den europäisch-chinesischen Beziehungen
Bericht des European Think-tank Network on China (ETNC), Dezember 2018
In ihren Verträgen hat sich die Europäische Union zur Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Pünktlich zum 70. Jahrestag der Unterzeichnung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Palais de Chaillot in Paris veröffentlicht das European Think-tank Network on China (ETNC) einen neuen Bericht in englischer Sprache.
Im Wesentlichen unterscheiden die Experten des Netzwerkes vier verschiedene Umgangsweisen mit politischen Werten in den Beziehungen zu China: Eine erste Gruppe von Staaten tritt aktiv und öffentlich sichtbar für politische Werte gegenüber China ein. Eine zweite Gruppe engagiert sich aktiv, tut dies jedoch diskret. Eine dritte Staatengruppe verhält sich passiv. Eine vierte Gruppe ist ebenfalls weitgehend passiv, unterminiert jedoch hin und wieder Bemühungen der EU zur Förderung politischer Werte.
Lucrezia Poggetti und Kristin Shi-Kupfer von MERICS haben das Kapitel zu Deutschland verfasst: “Germany’s promotion of liberal values vis-à-vis China: Adapting to new realities in political relations”.
Darin vergleichen die China-Experten von siebzehn führenden Forschungseinrichtungen aus ganz Europa (darunter auch MERICS), wie die EU und ihre Mitgliedsstaaten ihren Verpflichtungen zur Förderung politischer Werte in ihren Beziehungen mit China nachkommen. Dies ist bedeutsam, da das autokratische China von vielen Beobachtern bereits als neue Supermacht angesehen wird.
Sie ordnen in ihrer Analyse Deutschland jenen europäischen Ländern zu, die sich aktiv und öffentlich sichtbar für politische Werte gegenüber China einsetzen. Gleichzeitig beobachten sie, dass sich Dialogformate und die stille Diplomatie als Deutschlands wichtigste Werkzeuge erwiesen haben, um die liberalen Werte gegenüber China zu vertreten. Das Kapitel widmet sich auch der Frage, wie sich die Debatte über China in den deutschen Politik- und Wirtschaftskreisen entwickelt. Einige würden China als “systemische Herausforderung” bezeichnen, während andere Chinas politisches System als Alternative und Entwicklungsmodell preisen.
Der ETNC-Bericht bezeichnet drei Faktoren als ausschlaggebend für die Entscheidung eines jeden Landes für eine der vier Strategien:
- Die historische Entwicklung: Obgleich politische Werte in fast allen Ländern Europas heute eine geringere Rolle für die Beziehungen mit China spielen als noch in den 1990er Jahren, ist dieser Trend in jüngeren Demokratien (Demokratisierung nach 1970) deutlich ausgeprägter.
- Die Wirtschaft: Wohlhabendere Staaten (gemessen am BIP pro Kopf) neigen zu einem stärkeren Engagement für politische Werte gegenüber China. Enge Handelsbeziehungen korrelieren ebenfalls mit einem deutlicheren Eintreten für Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.
- Chinesischer Druck: Dieser führt dazu, dass europäische Staaten weniger für politische Werte eintreten, das Thema aber nicht gänzlich von der Agenda nehmen.
Die in den letzten Jahren verstärkten chinesischen Anstrengungen, in Europa positiver wahrgenommen zu werden, haben nicht dazu geführt, dass sich die Meinung der Europäer über Chinas politisches System signifikant verbessert hat.