Header Foto 210128 China Briefing 2/2021 Top Story
MERICS Briefs
MERICS China Essentials
11 Minuten Lesedauer

Kandidaten für das Kabinett von US-Präsident Biden stecken harte Linie gegenüber China ab – Xi kontert

Die Fakten: Nach den Anhörungen der Kandidaten für das Kabinett von US-Präsident Joe Biden deutet sich ein harter und zugleich stärker multilateral ausgerichteter Kurs in der China-Politik an. Der neue Außenminister Antony Blinken antwortete: "Ich habe keinen Zweifel", auf die Frage, wie sicher er sei, dass China die "vorherrschende" Weltmacht werden wolle. Zum Vorwurf seines Vorgängers Mike Pompeo, dass Beijing einen „Völkermord“ an Muslimen in Xinjiang begehe, sagte Blinken: "Das wäre auch mein Urteil“. Finanzministerin Janet Yellen gelobte, "gegen Chinas missbräuchliche, unfaire und illegale Praktiken vorzugehen", indem die USA "mit unseren Verbündeten zusammenarbeiten, anstatt einseitig zu handeln".

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping konterte, indem er zu "friedlicher Koexistenz" und einem Ende "ideologischer Vorurteile" aufrief – und dabei implizit internationale Normen wie die universellen Menschenrechte ablehnte. In seiner Rede auf dem virtuellen Davos-Treffen sagte Xi, das wichtigste Kriterium zur Beurteilung der Leistung eines Landes sei, „ob seine Geschichte, Kultur und sein soziales System zu seiner besonderen Situation passen, die Unterstützung der Menschen genießen, der politischen Stabilität, dem gesellschaftlichen Fortschritt und einem besseren Leben dienen und zum menschlichen Fortschritt beitragen."

Kurz nach der Amtseinführung Bidens und kurz vor Xis Rede in Davos drangen chinesische Militärflugzeuge an zwei aufeinanderfolgenden Tagen in den Luftraum Taiwans ein. Der Vorstoß in die sogenannte Luftverteidigungsidentifikationszone ist zwar nicht neu, doch die große Zahl der Flugzeuge deutet auf eine neue Qualität der Eskalation. Die Biden-Regierung bekräftigte daraufhin in ihrer ersten Erklärung zu Taiwan ihr "felsenfestes" Engagement für Taiwan und kritisierte "das Muster der anhaltenden Versuche der VR China, ihre Nachbarn, einschließlich Taiwan, einzuschüchtern".

Der Blick nach vorn: Die ersten Äußerungen des Biden-Kabinetts deuten auf eine Fortsetzung der Konfrontation mit China auch in den Bereichen Handel und Technologie; im multilateralen Kontext ist nun abzuwarten, ob die angekündigte Zusammenarbeit bei Menschenrechten und der Wahrung demokratischer Werte sich konkretisiert. China betont die Notwendigkeit, die Spannungen mit den USA zu entschärfen, will aber zugleich seine eigene Vision von globaler Führung durchsetzen.

MERICS-Analyse: "Die Top-Beamten in Bidens Regierung werden nun unter Beweis stellen müssen, ob sie eine kohärentere und effizientere China-Strategie entwickeln können als die Trump-Regierung. China wird versuchen, die Vereinigten Staaten davon abzuhalten, wirksame Koalitionen gegen seine selbstbewusste wirtschaftliche und geopolitische Strategie zu bilden. Zudem wird es seine eigenen Allianzen zu stärken versuchen," sagt Matt Ferchen, Forschungsleiter Global China bei MERICS.

Medienberichte und Quellen:

Beijing verhängt vor dem Neujahrsfest Reisebeschränkungen

Die Fakten: Auf den Besuch bei der Familie werden viele Chinesen zum Neujahrsfest verzichten müssen: Im Vorfeld des Frühlingsfests am 12. Februar hat die Nationale Gesundheitskommission strenge Reisebestimmungen erlassen. Dazu gehören verpflichtende Covid-19-Tests für Reisen zwischen und innerhalb von Provinzen. Auch gilt eine 14-tägige Quarantänepflicht nach der Ankunft. Shanghai, Beijing und andere regionale Regierungen forderten die Bürger auf, von Reisen abzusehen. Hebei, Jilin und einige andere Provinzen verhängten Lockdowns. 50 Millionen Menschen sollen bis zum Frühlingsfest geimpft werden. In China kommen hauptsächlich einheimische Impfstoffe zum Einsatz. Die Präparate von Sinopharm und Sinovac haben Berichten zufolge Wirksamkeitsraten zwischen 50,4 und 79 Prozent. Im Januar wurden in China täglich zwischen 50 und 150 neue Fälle von Covid-19 gemeldet.

Der Blick nach vorn: Ähnlich wie in anderen Teilen der Welt sind in China zu wenige Menschen bislang geimpft worden. Eine Häufung von Covid-19-Fällen könnte einen neuen, großflächigen Ausbruch auslösen. Bisher haben schnelle und kompromisslose Lockdowns und rigoros durchgesetzte Vorschriften Wirkung gezeigt.

MERICS-Analyse: Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Pandemie waren in China weniger gravierend als in vielen anderen Teilen der Welt, auch in der EU. Doch aufgrund von Reisebeschränkungen und Lockdowns könnten die sonst zu den Feiertagen anfallenden Konsumausgaben, Restaurantbesuche, Tourismus und Geldgeschenke vergleichsweise gering ausfallen - und die schleppende Erholung des Konsums eine Herausforderung bleiben.

Medienberichte und Quellen:

Forderung nach dauerhafter Abschaffung der Wachstumsziele für China

Die Fakten: Angesichts der hohen Verschuldung kommen von ranghoher Stelle in China Forderungen nach einer dauerhaften Abschaffung der ehrgeizigen Wachstumsziele, die Kader in den Regionen zu überfordern drohen. Solche Ziele festzusetzen, erhöhe die Gefahr einer Überschuldung regionaler Regierungen, sagte der Vorsitzende des Ausschusses für Geldpolitik und ehemalige Chef der Zentralbank PBOC, Ma Jun nach einem auf dem Portal Sina.com veröffentlichten Redeprotokoll. Die Regierung in Beijing solle sich stattdessen auf die Stabilisierung des Arbeitsmarkts und die Vermeidung einer Inflation konzentrieren. Im vergangenen Jahr hatte Beijing aufgrund der Coronavirus-Pandemie und damit einhergehender Unsicherheiten zum ersten Mal seit Jahrzehnten auf die Festsetzung eines Wachstumsziels verzichtet.

Der Blick nach vorn: Die chinesische Wirtschaft hat mit einem Wachstum von 2,3 Prozent – und sogar 6,5 Prozent im letzten Quartal – das schwierige Jahr 2020 besser überstanden als der Rest der Welt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sagt für Chinas Wirtschaft 2021 ein Wachstum von 7,9 Prozent voraus. Doch es gibt Risiken. Ein Sinken der Auslandsnachfrage Chinas Wachstum etwa einen Dämpfer versetzen.

MERICS-Analyse: „Die heimische Nachfrage ist die größte Herausforderung für die chinesische Wirtschaftserholung. Die Inflation hält mit dem Wachstum nicht Schritt – und der Einzelhandelsumsatz hinkt im Vergleich zur Industrieproduktion hinterher,“ sagt MERICS-Experte Maximilian Kärnfelt.

Mehr zum Thema: In der neuesten Ausgabe der MERICS Economic Indicators analysieren Max J. Zenglein, Maximilian Kärnfelt und François Chimits Chinas Wirtschaft im 4. Quartal 2020.

Medienberichte und Quellen:

Vis-à-vis: Joseph Odindo über Chinas Einfluss auf afrikanische Medien

MERICS China Briefing sprach mit JospephJoseph Odindo Odindo, Gastdozent an der Graduate School of Media and Communication an der Aga Khan Universität Nairobi in Kenia, über Chinas Einfluss auf afrikanische Medien. Odindo ist der ehemalige Chefredakteur der Nation Media Group und der Standard Media Group in Nairobi.

Wie hat Chinas Einfluss die Medienlandschaft in Kenia und Afrika verändert?

Chinas Einfluss hat die Medienlandschaft auf dem gesamten Kontinent nicht grundlegend verändert, auch nicht in für China wichtigen Staaten wie Kenia. Allerdings sind die chinesischen Medien heute präsenter als noch vor zehn Jahren. Ich sehe nicht, dass die starke Expansion im Print- und Rundfunkbereich in Märkten wie Kenia und Südafrika auch ein entsprechendes Wachstum der Zuschauerzahlen oder eine Präferenz für chinesische Medieninhalte bewirkt hat.

In Kenia hat der Fernsehsender CGTN den Medienmarkt durchgerüttelt, als er prominente Journalisten von großen Arbeitsgebern wie der Nation Media Group abwarb. Ihnen wurden offenbar höhere Gehälter als der Marktdurchschnitt angeboten. Außerdem wurden fast 70 neue Arbeitsplätze in einer Branche geschaffen, die kaum Wachstum verzeichnete. Chinesische Akteure haben jedoch wenig Einfluss auf die Art und Weise, wie Journalismus gemacht wird. Die liberalen Traditionen der kenianischen Medien, die die Regierung hartnäckig zur Rechenschaft ziehen, dominieren nach wie vor.

Viele chinesische Medienprogramme und -investitionen werden eher langfristige als kurzfristige Ergebnisse bringen. Dutzende von Journalisten wurden für einmonatige "Trainingsprogramme" oder zweiwöchige kulturelle Austauschprogramme nach China eingeflogen. Chinas Nachrichtenagentur Xinhua verfügt nun über das größte Netzwerk von Auslandskorrespondenten in Afrika und hat damit Zugang zu spannenden Geschichten vor Ort. In Kenia ist eine regelmäßige afrikanische Ausgabe der China Daily erhältlich, während der Fernsehsender CGTN - wenn auch langsam - mit soliden Nachrichten und Dokumentationen auf sich aufmerksam macht.  

Verfolgt China eine kohärente Strategie, um sein Engagement in der afrikanischen Medienszene zu vertiefen?

Anfang der 2000er Jahre als China seinen Vorstoß in die afrikanische Medienwelt begann, schien es keine kohärente Strategie zu geben, um Einfluss zu gewinnen. Initiativen wurden hauptsächlich individuell vorangetrieben, wie vom Xinhua-Chef in Nairobi, der Freundschaften mit Redakteuren und prominenten Kolumnisten pflegte. Auf sein Bestreben richtete die Nation Media Group eine Satellitenschüssel für den Empfang von Nachrichten und TV-Beiträgen aus China ein. Es ging darum, ein Gegengewicht zur Nähe des Unternehmens zu westlichen Nachrichtenagenturen zu bilden.

Im letzten Jahrzehnt sind Chinas Bemühungen aggressiver, systematischer und auch finanzstärker geworden. Engagierte Beamte wurden nach Nairobi entsandt. Sie boten sogar an, Aktien der Standard Media Group zu kaufen, des ältesten Medienunternehmens des Landes, das sich gerade um neues Kapital bemühte. Sie nutzten die schlechte finanzielle Lage lokaler Medien aus und vergaben großzügige Werbeaufträge an Medien, die dann wohlwollend über China berichten sollten.

Welche Reaktion erhoffen Sie sich von Europa und den USA angesichts dieser Entwicklungen?

Die EU und die USA sollten ihre Ausbildungspartnerschaften mit lokalen Medien intensivieren, mit Programmen, die Qualifikationslücken in der Branche schließen. Örtliche kale Redaktionen sollten von europäischen und US- Medienunternehmen lernen können, die ihre Redaktionen umgestaltet haben und mit neuen Geschäftsmodellen erfolgreich sind. Zweitens sollten sie örtliche Medien bei der digitalen Umstellung technisch unterstützen. Diese stehen unter Druck, sich neu auszurichten, aber es fehlt ihnen an Wissen, Führungskompetenz und Finanzkraft.

Die Fragen stellte Gerrit Wiesmann.

Joseph Odindo war auch Teilnehmer eines Web-Seminars zu Chinas Einfluss auf afrikanische Medien, das MERICS und die Konrad-Adenauer-Stiftung am heutigen Donnerstag veranstalteten. Ein Mitschnitt wird in Kürze hier verfügbar sein.

METRIX

China Briefing 02/2021_Metrix 73,3 DEDie Flugbuchungen für die Zeit rund um das chinesische Neujahrsfest sind im Vergleich zum Jahr 2019 um 73,7 Prozent eingebrochen (Stand 19. Januar). Die Neujahrsferien sind mit in der Regel hunderten Millionen Reisenden die stärkste Reisesaison des Jahres. Um neuen Covid-19-Ausbrüchen entgegenzuwirken, hat die Regierung die Menschen in diesem Jahr aufgefordert, auf Reisen zu verzichten. Diejenigen, die sich trotzdem auf den Weg machen, müssen einen negativen Corona-Test vorweisen. (Quelle: ForwardKeys via Reuters)

REZENSION: China: The Bubble that Never Pops, Thomas Orlik (Oxford University Press, 2020)

Gegen Ende von „China: The Bubble that Never Pops“ bringt Autor Thomas Orlik den Begriff „Sinophrenie“ ins Spiel. Er definiert ihn als „den Glauben, dass China kurz vor dem Zusammenbruch steht und zugleich im Begriff ist, die Welt zu übernehmen.“ Genau diesen schizophrenen Widerspruch versucht Orlik in seinem Buch zu überwinden. Er beschreibt Chinas jüngste Geschichte, die häufig selbst verursachten wirtschaftlichen Probleme und die oft (wenn auch nicht immer) einfallsreichen Strategien der chinesischen Führung. Soviel vorweg: dies ist kein Buch, das einfache Antworten gibt.

Orlik widmet sich der enormen Verschuldung von Chinas Wirtschaft, Haushalten und Regierung. Diese hat sich in den vergangenen zwölf Jahren auf das Dreifache der Wirtschaftsleistung des Landes aufgebläht, was nach Orliks Ansicht darauf zurückzuführen ist, dass China seine gewaltigen Ersparnisse zur Finanzierung inländischer Investitionen verwendet, anstatt sie ans Ausland zu leihen, um Exporte zu fördern. In einer ähnlichen Situation befanden sich schon andere Länder, darunter Japan 1991, Südkorea 1997 und die USA 2008. Es folgten jeweils das „verlorene Jahrzehnt“, die Asien- und dann die globale Finanzkrise.

China, so Orlik, steht nicht unbedingt vor einer größeren Krise. Chinas Markt ist riesig, und Beijing unternimmt große Anstrengungen, „die Entwicklungsleiter hinaufzusteigen“. Die Sparquote des Landes ist hoch und Kapital schwer zu exportieren. Trotz wachsender fauler Kredite – auch bedingt durch die Coronavirus-Pandemie – stünden Chinas Banken auf einer solideren Basis als die von Japan und Südkorea oder die Lehman Brothers.

Orlik hat als Journalist in China gearbeitet, wodurch er die Ereignisse aus nächster Nähe beobachten und Zugang zu Entscheidungsträgern bekommen konnte. Er erinnert an die angeblich unausweichlichen Entwicklungen, die Beobachter seit langem immer wieder beschworen haben: Eine aufstrebende Mittelschicht würde zum Zusammenbruch des Regimes führen, hieß es etwa. Doch die Kommunistische Partei hat es geschafft, die Neureichen einzubeziehen. Orlik sieht eine ähnliche Fähigkeit zur Flexibilität im Umgang mit dem Auf und Ab der Immobilienmärkte oder der (Nicht-)Öffnung der Kapitalmärkte. China ist für viele ein emotionales Thema, räumt er ein und ruft dazu auf, das Land „nicht durch einen roten Nebel zu sehen.“

Rezension von Gerrit Wiesmann